Astrid Petermeier

Neues aus dem Rührgebiet

EINEN HINGEKOFFERT von Helmut Dreier

Aua! – Verdammte Scheiße, schon wieder den Fuß angestoßen an diesem Ding, das hier seit Wochen im Weg rumsteht. Wenn ich den Koffer mal aus dem Flur räumen würde, wäre die Falle beseitigt. Aber dann könnte ich ihn auch gleich wieder in den Keller tragen, wo er herkommt.
Warum ich ihn überhaupt hochgeholt habe? Na, um ihn zu packen, nur mit dem Allernötigsten, und dann zwei Wochen weg. Egal wohin.
Obwohl nicht ganz, es soll ausschließlich an Orte gehen, an denen ich noch nie war. Herrlich, oder?
Zwei Wochen Abenteuer , jeden Tag ein anderer Ort, neue Eindrücke, neue Menschen, oder gar Freundschaften.
Oder auch nichts von alle dem. Vielleicht sieht’s in der City von Offenburg oder Herne ja genauso aus wie bei uns in Darmstadt auch: Tschibo, H&M, McDoof. Im örtlichen Kulturcafe spielen unter Umständen die gleichen Bands und lesen die gleichen Autoren, wie in Darmstadt auch. Sind alle auf Tournee: morgen in Herne, tags drauf in Offenburg.
Und die Leute? Sie haben vielleicht gar nicht die Zeit, sich mit einem Fremden in ihrer Stadt zu unterhalten, sind am Ende gar nicht interessiert zu erfahren, dass es in Darmstadt genau so aussieht wie bei ihnen, weil sie es selbst herausfinden möchten, selbst einen Koffer zu Hause rumstehen haben, den sie mit dem Nötigsten befüllen wollen, um sich ins Abenteuer zu stürzen. Wenn der blutige Fußnagel dann mal verheilt sein sollte.
Ja, mein Gott dann ist es eben so. Dann redet halt keiner mit mir und ich höre mir diese kanadische Weltmusikband eben noch mal an. Waren schließlich nicht schlecht, die Jungs. Und wer sagt, dass Abenteuer immer gut auszuhalten sein müssen? Wenn dem so wäre, wären es keine. Nur gut ausgehen sollten sie. Das darf man schon erwarten.

Den Koffer sollte ich dann endlich mal packen. Erstens wären dann seine Tage im Flur gezählt und zweitens habe ich demnächst wieder Termine und keine zwei Wochen Zeit mehr für mein Abenteuer.
Also, nur das Nötigste, wie gesagt, aber was ist das?
Kulturbeutel, drei Sets Unterwäsche, ein Satz T-Shirts, das muss reichen. Waschsalons gibt’s doch wohl überall. Auch in Herne, hoffe ich.
Obwohl, wenn die da einen Waschsalon haben, muss ich ja gar nicht weg, den hab‘ ich doch auch hier.
Blödsinn, ich fahre schließlich nicht zum Wäsche waschen nach Herne, sondern wegen der Leute dort, die keine Zeit haben, mit mir zu reden. Wenn dem so sein sollte, kann ich immer noch nach Offenburg fahren, ins örtliche Kulturcafe. Und dann fahre ich einfach dieser Weltmusikband hinterher, bis die zwei Wochen um sind.
Dann zurück nach Darmstadt in den Waschsalon.

Helmut Dreier

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