Nun gibt es ihn schon drei Jahre lang, den umsonstladen in Dortmund. Ein Projekt, das sich nur Neptun ausgedacht haben kann: voller Menschenliebe, freundlich und bereit, vieles zu geben. Deshalb sollen die Leute vom umsonstladen jetzt mal was bekommen: eine Astro-Story, also eine Kurzgeschichte, die sich um das Eröffnungshoroskop des umsonstladens dreht und auf ihre Weise erzählt, worum es dort geht. Und los geht’s, was soll die lange Vorrede?
Ein wenig erstaunt waren die anderen schon, als sie Neptun hinter der Theke des Nordpols bemerkten. Sollte es heute –am 25.3.2014 um 15.00 Uhr – nicht die planetare Eröffnungskonferenz für den umsonstladen Dortmund geben? Da stünde ja wohl der Sonne der Vorsitz zu! Schließlich war die Sonne die Regisseurin eines jeden Horoskops. Sie war das Ego, das bestimmte, wo es langgehen sollte.
Merkur, der kleine Götterbote mit den Flügelchen an den Sandalen, eilte geschäftig von einem zur anderen, wies allen Planeten ihre Plätze zu und nahm Bestellungen auf. Aha, er mimte den Kellner. Wie ein Fisch im Wasser tollte er von einem zur anderen.
„Es ist fast Drei, wir müssen ohne Jupiter anfangen.“ zischelte er Neptun, dem Wirt, zu.
Neptun grinste in seinen gewaltigen Bart voller Muscheln und bat Merkur, Jupiters Blitz auf dessen Platz im Krebs zu legen. Er kannte ja sein Bruderherz: der ließ gern alle Fünfe gerade sein, würde aber gewiss noch kommen. Dann donnerte er mit seinem Dreizack auf den Tresen und legte los.
„Mit Erlaubnis von Frau Sonne eröffne ich unser heutiges Treffen. Denn ich bin in diesem Horoskop der Einzige, der in seinem eigenen Zeichen steht, den Fischen, und das Projekt, das wir heute starten, ist ein wahrhaft neptunisches. Ein umsonstladen für Dortmund! Stress und Shoppinghetze waren gestern – hier kann man entspannt dem ganzen Rassel um den schnöden Mammon entrinnen. Jeder kann etwas geben, das er nicht mehr braucht und jede kann das nehmen, was ihr fehlt. Entscheidend ist der alte Titel von Dario Fo: BEZAHLT WIRD NICHT. Wir arbeiten nach dem Prinzip Gib und Nimm. Und wenn jemand mal nichts zu geben hat, darf sie trotzdem gern was mitnehmen.“
Ihr könnt euch vorstellen, was los ist, wenn neun Planeten in helle Begeisterung ausbrechen. Das fühlt sich an wie pures Feuer, echter Enthusiasmus, große Leidenschaft. Kein Wunder also, dass in diesem Augenblick das Zeichen Löwe am Ost-Himmel stand und sein gleißendes Licht durch die Fenster des Nordpols schickte.
Als sogenannter AC im Radix-Horoskop des umsonstladens brachte er jede Menge Kreativität, Kinderspielzeug, Bücher, Haushaltswaren, Kleidung und an diesem Tag sogar die Presse mit. Das örtliche Radio, die Tageszeitung, diverse Blogger und sogar ein Kamerateam des WDR waren gekommen, denn ein Löwe glänzt gern im Licht der Öffentlichkeit.
Was die Sonne ausgesprochen erfreute. Sie wusste ja, dass Neptun liebenswürdig, aber manchmal etwas träge und chaotisch war. Deshalb hatte sie sich zum Projektstart ins Zeichen Widder begeben. Widder war das erste Zeichen des Tierkreises, die Startenergie oder der Frühling samt des Mutes, mit dem z.B. ein Krokus als erster seinen Kopf aus der Erde reckt. Allerdings legte die Sonne Wert auf ihren Solo-Platz im 8. Haus, in dem ihr niemand zu nah auf die Pelle rückte. Egoismus, wie die Sonne ihn gern zur Schau trug, war in diesem Projekt nicht gefragt. Wohl aber ein Gedankengut, das tiefgreifende Veränderungen wollte, „die Menschen unabhängiger machen von den Zwängen unseres Wirtschaftssystems.“ (Flugblatt des umsonstladens)
Meister Neptun war klar, dass sie ihre Feuer-Energie längst von hinten durch den Keller eingebracht hatte. So wandte er sich dem Mond zu. Du lieber Himmel, der hatte einen beinharten Hocker im Steinbock erwischt – ob er sich da wohl fühlte? Als fürsorglicher Wirt schickte Neptun Merkur mit einem Stück selbstgebackenen Kuchen (von einer umsonstladen-Mitarbeiterin gespendet) zum Mond und ließ fragen, ob er gut versorgt war.
„Ihr wundert euch über meinen Platz?“ lächelte der Mond silbrig. „Tja, im Steinbock fühlt sich vieles karg und asketisch an. Genau wie in der Nordstadt. Wer genug und noch mehr hat, lebt nicht hier. Im Dortmunder Süden würde unser Projekt wohl kaum gebraucht. Aber ihr kennt mich ja: ich bin die wandelnde Bedürftigkeit, ich sorge gern für andere und ziehe gleich weiter in den Lebensbereich, der Arbeit und Dienstleistung umfasst. Es gibt jede Menge zu tun. Spenden annehmen, sortieren, verteilen, beim Anprobieren helfen. Da bin ich doch voll in meinem Element.“
„Und was hast du davon?“ wollte Uranus wissen.
„Ich?“ der Mond freute sich über die Frage. „Mir bietet der umsonstladen eine politische Arbeit, in der ich mal nicht Nein-Sagen muss, sondern etwas aufbauen kann.“
Mars, der genau im Quadrat zum Mond in einem bequemen Schaukelstuhl saß, war auf Krawall gebürstet, wie es sich für den Muskelprotz gehörte.
„Typisch Mond, ausgerechnet in der Nordstadt will der mal wieder von allen geliebt werden. Hier gibt’s aber genug Leute, denen Nehmen seliger als Geben ist.“
Schwupps, schon hatte er das größte Stück vom Kuchen auf seinen Teller geschaufelt.
Es war Saturn, der weise Alte, der sofort begriff, was Mars demonstrieren wollte. Er stellte die Frage, die die Leute vom umsonstladen im Laufe der Jahre ungezählte Male beantworten mussten:
Was tun, wenn jemand bei euch einsackt, um die Sachen später woanders zu verkaufen? War das Gib-und-Nimm-Prinzip nicht eine neptunische Illusion?
„Wir brauchen Regeln!“ donnerte Saturn.
Regeln? Das war nicht gerade das Wort, mit dem man sich bei Uranus („Regeln sind was für Spießer“) oder Neptun („ich vertraue lieber auf kosmische Gerechtigkeit“) beliebt machte. Mars, der sich endlich sein großes Kuchenstück einverleiben wollte, spürte, wie alle Blicke auf ihn gerichtet waren. Uaah, er saß auf dem Waage-Schaukelstuhl und der wippte hin und her. Sollte er oder sollte er nicht? Unentschlossen ließ er seine Kuchengabel sinken.
„Ihr könnt mich ja ansprechen.“ murmelte er. „Vielleicht bin ich einer, der viel mitnimmt, weil er eine große Familie hat. Vielleicht habe ich weder Arbeit noch Sozialhilfe und muss davon leben, dass ich Sachen auf dem Flohmarkt verkaufe. Vielleicht….“
Gnade! Neptun fiel auf, dass Mars nicht nur auf dem Waageschaukelstuhl saß, sondern auch im Kommunikationsbereich. Wenn er den reden ließ, würden sie bis zur Eröffnung nie fertig.
„Also Leute, wir klären das jeweils im Gespräch. Was mir für unseren umsonstladen noch fehlt, sind ein paar pfiffige Aktionsideen.“
„Trash-Up!“ hiphopte die Venus und es klang fast wie die-da. Sie verschönerte gern und vor allem auf ungewöhnliche Weise – eine echte Wassermann-Venus. „Ein paar Nähmaschinen, ein Haufen Klamotten und daraus witzige Kombinationen schneidern. Rucksäcke aus Jeans mit Lametta-Fransen – was immer den Leuten so einfällt. Wir gehen auf Trash-Up-Festivals oder veranstalten selber welche. Ich wette, dass es jede Menge Leute gibt, die Spaß am kollektiven Schneidern haben.“
So sollte es sein – im November 2016 im Dortmunder Depot, weitere Trash-Ups sind in Planung.
Uranus fühlte, wie ein Blitz sich in seinen Allerwertesten bohrte. Er sah zum Krebs-Kissen – immer noch kein Jupiter, aber auch kein Blitz mehr. Er sah zur Tür. Na klar, da stand der dicke planetare Kumpel und er war nicht allein. Wenn Uranus seine spontane Widder-Rebellen-Rede noch halten wollte, musste er sich beeilen. Denn Jupiter, der gigantische Gasplanet, kannte nur die Übertreibung. Diesmal hatte er Menschen, Menschen, Menschen mitgebracht. Sie kamen aus allen Stadtteilen und Ländern, waren jung, alt und dazwischen, wollten spenden oder suchen. Himmi, war das ein Gedrängel vor der Tür! Uranus redete wie die Feuerwehr:
„Geschätzte Mitplaneten und Menschen, hier geht’s um Umweltschutz, Nachhaltigkeit und solidarische Ökonomie. Wir wollen dieses kapitalistische System nicht, wir wollen langfristig autonome und selbstverwaltete Strukturen aufbauen. Arbeiten wir gemeinsam an einer Gesellschaft basierend auf freier Vereinbarung, Selbstverwaltung und gemeinschaftlicher Ressourcenverwaltung!“
„Mach‘ ein Flugblatt draus.“ Jupiter hatte sich durch die vielen Menschen zu Uranus vorgekämpft. Er strahlte, ließ sich auf sein Kissen fallen und träumte, wovon ein Jupiter im Krebs nur träumen kann: von eigenen Räumen für den umsonstladen, in denen die vielen Sachen schön dekoriert werden könnten. Davon träumt er immer noch – falls also jemand ein Ladenlokal weiß…
„Öfter mal werden uns Möbel angeboten“, erklärte er Uranus. „Wohin damit?“
„Facebook.“ grinste Uranus, denn das Internet war seine Domäne. „Wir stellen ein Foto ein und die Leute können untereinander Kontakt aufnehmen.“
Drei Jahre später, am letzten Dienstag des März 2017, sinnierte Neptun wieder mal hinter seinem Tresen. Er war gern Wirt des umsonstladens, der für ihn die erste kleine Stufe zu einer besseren Gesellschaft darstellte. Auch wenn Saturn die Dinge anders sah.
„Du machst dir Illusionen. Bist du für die Leute nicht nur ein nützlicher Idiot mit einem ausgewachsenen Helfersyndrom?“ hatte der ihn gefragt und darauf hingewiesen, dass der größte Andrang gleich nach Öffnung herrschte, weil alle sich die besten Klamotten sichern wollten.
Neptun konnte darüber nur lachen – und zwar so sehr, dass die Muscheln aus seinem Bart flogen und sogar der Dreizack mitkicherte. Zu seinen Prinzipien gehörte das Recht darauf, auch mal nicht zu funktionieren. Einerseits untergrub der umsonstladen die Funktionen des kapitalistischen Marktes persé und gründlich. Andererseits hatte es sogar dieses schon gegeben: an einem Tag, an dem er nicht pünktlich öffnete, hatten die Wartenden vor der Tür allein umsonstladen gespielt – also einfach untereinander getauscht, was sie dabei hatten.
„Gevatter Saturn, was glaubst du, warum ich hier so gerne Wirt bin?“
„Schirmherr.“ verbesserte Saturn, der immer etwas zu verbessern hatte.
„Wo soll denn Neptun mit einem Schirm hin? Guck mal lieber, an welcher Linie sich mein Tresen entlangzieht.“
25.3.2014, 15 Uhr, Dortmund = Eröffnung des umsonstladens
Saturn sah, dass der Tresen genau am DC entlanglief, mit dem das Haus begann, in dem in jedem Horoskop die Begegnung stattfindet. Und gleich dahinter hatte es sich Neptun mit allen seinen Fischen gemütlich gemacht. Er verstand.
„Du willst Menschen begegnen, mit ihnen ins Gespräch kommen, ihnen deine Ideen nahebringen.“
„Genau“, Neptun schenkte aus. „Du weißt doch: steter Tropfen höhlt den Stein. Drei Jahre umsonstladen haben schon einige verhärtete Gemüter inspiriert.“
Bis also ein Ladenlokal gefunden ist, gibt es den umsonstladen immer am letzten Dienstag im Monat von 16 bis 19 Uhr im „Nordpol“ an der Münsterstraße 99. Leute, die mitarbeiten wollen, sind gern gesehen, Geldspenden werden garantiert nicht abgelehnt und per mail ist der laden jederzeit erreichbar: umsonstladen_do@riseup.net.
Dies war nicht die erste meiner Astro-Stories und soll auch nicht die letzte sein. Ich schreibe sie gern und auf Anfrage, falls ihr mal ein ganz persönliches Geburtstagsgeschenk für Tante Trude oder Onkel Jupp braucht oder falls euer Buchladen, eure Gruppe, eure Firma Jubiläum feiert. Mehr darüber erfahrt ihr unter Astro-Stories.