Ende letzten Jahres war es so weit: ein junger Mann in der S-Bahn bot mir seinen Sitzplatz an. Zuerst etwas irritiert nahm ich ihn an und smste meinen Freundinnen recht amüsiert: „Hoi, was muss ich seriös wirken!“
Seriös? In meinem quietschbunten Mantel und den knallgelben Boots? Wieso setze ich eigentlich alt mit seriös gleich?
Unter den Antworten, die ich erhielt, war eine, die mich ärgerlich machte. Von einer Freundin, der es schon öfter passiert war und die sich weder amüsiert, noch seriös, sondern einfach nur ALT fühlte.
Was ist daran denn nun so schrecklich? Wir sind rund um die 60 und gehörten mal zu jenen, die sich aufregten, als man das Wort ALTER durch SENIOREN ersetzte – als sei alt eine Peinlichkeit und senior so vornehm wie die Raumkosmetikerin statt der Putzfrau.
Fanden wir’s vor 30 Jahren noch witzig, zu runden Geburtstagen Simone de Beauvoirs Schrift „Das Alter“ zu verschenken, wäre es heute wohl ungebührlich… Mist, ich habe sie verlegt, verloren, erinnere mich nur noch schwach daran, dass die Gute keinesfalls eine „würdevolle Alte“ abgeben wollte. Oh ja, dem stimmte ich im zarten Alter von 30 begeistert zu (wahrscheinlich trage ich deshalb gelbe Schuhe:) Heute habe ich weder gegen Würde noch gegen Alter etwas einzuwenden und nehme den Sitzplatz schon deshalb an, damit sich die unwürdige Jugend solche freundlichen Angebote bloß nicht wieder abgewöhnt.
Lieber versuche ich, das Gefühl ALTERN zu erfassen, in Gesprächen zu befummeln.
(Wenn euch das hier zu doof und ich im Juli 60 werde, könnt ihr mich ja wieder mit Beauvoir beschenken.)
Kraft und Schönheit – dahin. Umzugshelfer finden wir unter Gleichaltrigen schon lange nicht mehr, haben dafür aber die Frage nach ärmellosen Sommerkleidern (wahlweise Kappen für die Jungs) schon öfter diskutiert. Trotzige Antwort: ich werde ja nicht älter, um endlich an einer Misst-Wahl teilnehmen zu können.
Es befallen einen Krankheiten und Zipperlein. Richtig, und das ist alles andere als angenehm. Wohl kann ich dem Verfall mit Bewegung und Ernährung entgegenwirken, doch aufhalten kann ich ihn nicht. Es treten sogar Wortfindungsschwierigkeiten auf, die weit entfernt von Demenz und Alzheimer sind. Der Schädel funktioniert ebenso wie der Körper einfach ein wenig langsamer.
Wenn überhaupt, kommen wir in Gesprächen ganz zuletzt auf die Vorteile des Alterns.
Kurz gesagt: ich kann die Worte „ich muss“ durch „ich darf“ ersetzen:
Ich darf es mir gönnen, LANGSAM zu sein – zum Eile haben bin ich nicht mehr jung genug. Ich darf den Wunsch nach MEINER RUHE vor fast alles setzen, muss nicht mehr irgendwelchen Karrierekram oder das beste Zeugnis zum Ziel haben. Vor allem aber: ich habe jede Menge erlebt und kann oft auf meine Erfahrungen zurückgreifen. Sie machen mich GELASSEN, ich muss mich längst nicht mehr so aufregen wie beim ersten Mal.
Was mich selbstredend nicht davon abhält, immer noch leidenschaftlich zu lernen. Bei vielen Sachen macht das Lernen sogar weit mehr Freude als früher. Denn ich kann das neu Erlernte sowohl auf meine Erfahrungen beziehen als ich auch sehe, dass ein reichhaltiger Erfahrungsschatz dem Lernen dient. Ich verstehe Rhythmen des Lebens leichter als jüngere Menschen, weil ich einen Turnus von 18-19 Jahren schon drei Mal hinter mich gebracht habe und dementsprechend betrachten kann. Ich kann das Körnchen Wahrheit in einer witzig erzählten, aber völlig unrealistischen Geschichte müheloser erkennen, weil es mir in anderen Zusammenhängen schon öfter begegnet ist. Ich kann beim Schreiben diverse Lebensbereiche verwursten, vom Kunstbetrieb über die Hausbesetzung bis zum Leben in der Nordstadt und meinem Dasein als Büromieze beim Betreuer.
Wenn ich ehrlich bin, nehme ich dafür den Verfall von Körperkraft oder Schönheit in Kauf – zwar nicht gern, aber doch grinsend mit dem Satz, den eine Freundin ihren jungen Kolleginnen gönnt:
„Ich bin alt und welche Entschuldigung hast du?“
Seit Beginn dieses Jahres, das ja nun wahrlich noch nicht alt ist, habe ich bereits vier Todesmeldungen erhalten. So massiv ist mir das Sterben noch nie entgegengetreten und dies ist eine Erfahrung des Alt-Werdens, die richtig weh tut.
Nicht, dass ich mich darob vor meinem eigenen Tod fürchte oder davor, dass auch meine Lebenszeit dahinschmilzt. Das werde ich nehmen, wie’s kommt und gut so.
Viel schwerer ist das LOSLASSEN, die Vorstellung, dass mich jemand nun nur noch in Gedanken, Gefühlen begleiten wird.
Zuerst begann ich, mit dem Schicksal zu hadern: von den Vieren war nur eine über 80, die anderen drei zwischen 59 und 67, also keineswegs in dem Alter, in dem wir sterben müssen (schon wieder dieses müssen-dürfen!). Ich begann, nach Gründen zu suchen: – die Quittung für unsere ausschweifende Lebensweise, – eine Umwelt, die Krankheiten fördert, – eine kalte Gesellschaft, die zuviel Stress auferlegt, etc.pp. So recht wollte aber nichts davon hinhauen. Dann fiel mir ein, wie viele Menschen, die mir lieb und teuer waren, im Laufe der letzten 35 Jahren „zu jung“ gestorben sind. Nicht einmal den Grund für den Selbstmord eines Freundes konnte ich damals finden….
Bis mir klar wurde, dass ich nach Verantwortlichen für mein Gefühl des VERLUSTS suche. Mal angenommen, ich fände einen: na und? Würde das den Verlust schmälern?
Sie alle stellen mir/uns nur eine Aufgabe:
„Lebe mit den Gedanken an mich und ohne mich weiter. Glaube an dich, so wie ich es tue. Ich bin tot – eine andere Entschuldigung, nicht zu leben und zu altern, gibt es nicht.“
meine Cousine Angela, gestorben am 17.2.2015, guckt von genau da auf uns Lebende
2. März 2015 um 19:12 Uhr
Waaaahsinn -was Du Dir aus dem Bleistift saugst – Geschichten nahe der Realität
3. März 2015 um 17:58 Uhr
Danke dir. Frage mich gerade, ob ich es schöner fände, wenn sie nur „nahe“ statt Realität wären…
Gut Licht
23. Februar 2015 um 20:18 Uhr
Stimmt: Ab 60 haben wir uns das Recht verdient, alles etwas langsamer zu erledigen. Aber um gar nix mehr zu tun, sind wir noch lange nicht alt genug. *smile*
28. Februar 2015 um 19:18 Uhr
ich war ja drauf und dran, zu schreiben, dass wir erkennen müssen, dass uns nicht mehr JEDE Tür offensteht. Habe ich aber gelassen, denn 1. woher will ich das wissen und 2. wann war das schon so? „gar nix mehr tun“ – ich wette, das kriegen wir nicht mal auf der anderen Seite des Jordans hin. Unsereine scheitert ja schon bei ihren Mini-Meditatiönchen nach kürzester Zeit, muss aber sagen: als Übung hattatwat. Auf Dauer möchte ich nur den Schalkern dazu raten.