Astrid Petermeier

Neues aus dem Rührgebiet

Astrid Petermeier: Im falschen Moment

Es klappert in meiner Küche!
Eindeutig: in meiner Küche, nicht in meinem Traum.
Ich lebe allein, es sollte in meiner Küche nicht klappern. Einbrecher? Decke über den Kopf, Ohren gespitzt. Jemand öffnet Schränke. Hochschießen, zum Kerzenständer greifen, dem Einbrecher eins überbraten?
Aua, mein Kopf hat die Ausmaße eines Rathauses, meine Glieder sind schlapp wie ein Sack Mehl. Das war mehr als ein Glas zuviel gestern. Wodka, denn sie hatten meinen geliebten Stoli in der Kneipe.

„Was hältst du davon, wenn ich uns einen richtig schönen Kaffee bereite?“

Gahaa, seit wann bereiten Einbrecher Kaffee? Eine Männerstimme! Kenne ich sie? Nö. Aber es taucht ein Gesicht unter meinen geschlossenen Lidern auf. Kein schönes Gesicht. Den musste dir schöntrinken. Sowas in der Art habe ich mir beim dritten bis fünften Stoli wohl gedacht. Gestern Abend in der Kneipe. Offensichtlich habe ich es auch getan. So gründlich, dass nur ein gekrächztes „Gern“ aus meiner Kehle dringt. Wie hieß er noch? Keine Ahnung. Er saß neben mir am Tresen, wollte ebenfalls den Stoli probieren, über dessen Entdeckung ich mich so freute. Ich fand, dass man sich großartig mit ihm unterhalten kann. Worüber? Mir doch egal…

„Hast du keine Kaffeemaschine?“

Mit einem Schluck Wasser gelingt es mir, halblaut „Nein, eine Durchdrückkanne“ zu sagen. Ich höre, wie er in den Schränken danach sucht. Blödmann, sie steht auf der Anrichte.
Ich kam vom Friedhof. Die Sonne ging unter und mir tat das Kreuz weh. Weil ich alle Blätter, die vom großen Baum am Grab meiner Eltern fielen, mühsam mit der Hand aufklauben musste. Keine Harke dabei. Wer im Herbst jedes gefallene Blättlein beseitigt, so wie mein Vater es tat, als er noch lebte, hat mehr als genug zu tun. Weil auf ein aufgeklaubtes Blatt zwei neu gefallene kommen. Zwei Jogger sahen mich an, als sei ich Sysiphos persönlich und diagnostizierten eine schwere Zwangsneurose. Jogger auf Friedhöfen, die kann ich nicht mal leiden, wenn sie mich nicht beleidigen. Ich dachte, dass dies die Krönung des erfolgreichen Tages wäre. Aber nein, ich musste noch eins draufsetzen mit dem Trost-Trunk in der Kneipe, bei dem es nicht blieb. Mir doch egal.

„Du meinst diese French-Press?“
Es gibt Leute, die haben für alles einen Fachbegriff.
„Wo ist denn der Kaffee?“
„Rote Dose neben dem Wasserkocher.“
Meine Stimme macht sich, ganz im Gegensatz zu meinen Gliedern, die sich immer noch wie plattgekloppte Koteletts anfühlen. Aufstehen wird nix. Mit zwei Hinweisen auf einmal dürfte XXX den belebenden Kaffee jetzt hinkriegen.

Die Fahrt mit der Straßenbahn zum Friedhof durfte ich auch in zwei Teilen durchführen. Teil Eins: mit Hilfe eines Kontrollettis musste ich feststellen, dass meine Dauerfahrkarte zu Hause weilte. Der Rest meiner Barschaft stellte ihn nicht zufrieden. Aussteigen, Personalienkontrolle, Ticket für die Weiterreise ziehen. Automat nahm meinen Schein nicht an, also zur Bude, Lolli für zehn Cent kaufen, Fluchen des Kioskbetreibers hinnehmen, als er dafür einen 20-€-Schein wechseln musste. Pah, ich hatte bereits sechzig Euro Schulden bei den Stadtwerken. Teil Zwei: die nächste Bahn war pickepackevoll mit Fußballfans auf dem Weg zum Stadion. Ich trug einen Anorak in den falschen Farben. Als ich entschuldigend „Friedhof statt Stadion“ murmelte, fanden sie das gar nicht komisch. Mir doch egal!

„Das sind ja Kaffeebohnen! Muss ich die jetzt etwa mit einer Handmühle mahlen?“
„Nee, die gibt’s in elektrisch. Oben auf dem Kühlschrank.“

Ich bete, dass meine Kaffeemühle den Wackelkontakt von gestern in einer Art Selbstheilungsprozess überwunden hat. Gnade, sie hat! Sie kreischt und kracht und lärmt mitten durch mein gemartertes Hirn. Hätte sie das nicht gestern tun können?
Als sie mir den Dienst verweigerte, bin ich aufgebrochen, eine neue zu erstehen. Die ich in meinem Lieblingskaffeemühlenladen fand, aber nicht bezahlen konnte. Also zum Geldautomaten, der in schönstem Bankomatendeutsch behauptete, meine Karte sei ungültig und sie ratzfatz schluckte. Also zur Bank, wo mich ein gefönter Schicki nach meiner Kontonummer fragte. Woher sollte ich die wissen ohne Karte? Diese Ibans kriegt doch kein Mensch auswendig auf die Kette. Also keine Auszahlung, keine Kaffeemühle und gerade mal noch zwanzig Euro auf der Naht. Um diesem Tag einen Rest Sinn zu geben, fuhr ich zum Friedhof.

„Du hast keine Milch im Kühlschrank.“
Mir doch egal.
„Ich trinke nie Milch. Aber ich esse gern Brötchen und beim Bäcker im Parterre gibt’s auch Milch.“

Genau genommen, gibt es bei diesem Bäcker auch Kaffee – to go, also fix und fertig. Allerdings nicht von der Qualität, auf die ich gesteigerten Wert lege. Genau in diesem Moment hätte ich es gestern sagen sollen: mir doch egal. Habe ich aber nicht, weil dies der falsche Einstieg in den perfekten Tag gewesen wäre.

Als ich am gestrigen schönen Freitag erwachte, freute ich mich wie eine Schneekönigin auf meinen freien Tag, an dem ich mit dem perfekten Kaffee das verlängerte Wochenende einläuten wollte. Dank dieser fixen Idee klebe ich nun wie ein Schluck Wasser in der Kurve am Bett, habe einen wildfremden Typen am Hals und nicht die geringste Lust, mich diesem Samstag zu widmen. Den können sie von mir aus genau so aus dem Kalender streichen wie den gestrigen.

Ich höre meine Wohnungstür klappen. Geht der jetzt wirklich Brötchen holen oder bin ich ihn los? Will ich ihn loswerden? Ach, mir doch egal.

Astrid Petermeier, August 2018