Hilft Bildung wirklich für und gegen alles? Immerhin war Bildungbildungbildung in den vergangenen Jahren die Antwort auf viele Fragen. Umso erstaunter war ich, als ich in Aladin El Mafaalanis Buch „Mythos Bildung“ las, dass der ökologische Fußabdruck mit dem formalen Bildungsniveau beeindruckend größer wird.
Eine Untersuchung des Umweltbundesamtes zum Pro-Kopf-Verbrauch von Ressourcen (UBA, siehe Lit.) teilt die deutsche Bevölkerung in Milieus ein. Ich habe für diesen Beitrag die drei ausgewählt, bei denen der Bildungsstand ersichtlich ist und die zugleich die deutlichsten Bildungsunterschiede aufweisen:
1. das gehobene Milieu mit hohem Bildungsniveau und ebensolchem Einkommen (3000 € und mehr), leistungs- und erfolgsorientiert, an Machbarkeit und wirtschaftlicher Effizienz interessiert. Lebensmotto: auf das Erreichte stolz sein und es genießen.
2. das kritisch-kreative Milieu, das über mittlere und höhere Bildung verfügt, aufgeklärt, tolerant, engagiert ist und vielfältige kulturelle Interessen pflegt. Die Einkommensstruktur dieses Milieus ist breit gefächert. Ich gehe davon aus, dass hier die meisten besonders umweltbewussten Menschen angesiedelt sind, denn das Lebensmotto lautet: Die Dinge kritisch hinterfragen, verantwortlich und sinnvoll leben.
3. das einfache, prekäre Milieu mit niedriger Formalbildung und sehr geringem Einkommen (oft unter 1000 €). Teilhabe an Konsum und sozialem Leben sind stark eingeschränkt und das Motto heißt: über die Runden kommen, nicht negativ auffallen. (UBA, S. 40)
Sehen wir uns die Lebensgewohnheiten der Menschen aus diesen Milieus an:
Wohnen und Haushalten
Im gehobenen, doch ebenso im kritisch-kreativen Milieu lebt sich’s gern auf großer Fläche: hier sind die höchsten Durchschnittsflächen und die meisten eigenen oder gemieteten Häuser zu verzeichnen. Große, eher leere Räume mit klaren Linien sind beliebt, was sich in Heizkosten niederschlägt. Ich muss an Virginia Woolfs „A room for one’s own“ denken, auf dem ich als schreibende Frau immer bestanden habe. Bedenken wir darüber hinaus, dass im prekären Milieu an Esszimmer, Gästeräume oder Lesen im Kaminzimmer nicht zu denken ist, mit etwas Glück aber ein Hobby im Keller gepflegt werden kann. Bei einem Einkommen
– von mehr als 3000 € bewohnt man mehr als 70 qm pro Person, Heizkostenenergieverbrauch über 5000 KWh/a, also jährlich.
– zwischen 1000 und 2999 € sind es etwa 50 qm, Heizkosten fast 6000 KWh/a
– unter 1000 € lebt man auf rd. 30 qm, in Familienhaushalten liegt die qm-Zahl pro Kopf darunter. Es herrschen höhere Zimmertemperaturen bei energieeffizientem Lüften, Heizkosten 4000 KWh/a und weniger. (UBA, Tabellen S. 47 und 49)
Ich möchte betonen, dass es hier nur um beheizte Wohnfläche geht, wir also nicht von zu bewässernden Grundstücken, Ferienwohnungen oder –häusern sprechen.
Haushaltsgeräte von hoher Energieeffizienzklasse finden wir in erster Linie bei Menschen mit höherem Bildungsstand. Bei den einfach-prekären Milieus besitzen nur 24 % ein Gerät der Klasse A+ und besser. Der Energieverbrauch für Kühlen, Gefrieren, Kochen, Geschirrspülen liegt bei Einkommen unter 1000 € unter 800 KWh/a, bei Einkommen von über 1000 € bei rund 1000 KWh/a (UBA, S. 52). Moderne Geräte werden bei höheren Einkommen öfter angeschafft, wenn nicht gar jeweils ein älteres gegen das beste ausgetauscht wird. Wobei m. E. die Frage unberücksichtigt bleibt, ob die Nutzung eines „alten Möhrchens“ im Vergleich zur Anschaffung des energiesparenden Gerätes ökologisch grundsätzlich sinnvoller ist. Denn sowohl Produktion des Neugerätes als auch Entsorgung des alten verursachen Ressourcenschädigung.
89 % der Deutschen geben an, „normalen“ Strom zu beziehen. Mit 24% liegt der Anteil der Ökostrombezieherinnen im kritisch-kreativen Milieu besonders hoch, während nur knapp 3 % des einfach-prekären Milieus Ökostrom verbrauchen.
„Der Anstieg des Energieverbrauchs mit dem Einkommen ist vor allem auf häufigeres Kochen und zu einem kleinen Teil auf eine etwas höhere Anzahl an Kühl- oder Gefriergeräten pro Haushalt zurückzuführen.“ (UBA, S. 52)
In Sachen Ernährung liegt das kritisch-kreative Milieu vorn, weil hier seltener Fleisch gegessen wird. Wobei der deutlichste Unterschied beim energieaufwändigen Fleischverzehr zwischen Männern und Frauen bemerkt wird. In 27 % aller Haushalte kommt es vor, dass Lebensmittel weggeworfen werden. Hier liegt das kritisch-kreative Milieu mit 33 % erstaunlicherweise über dem Durchschnitt. Bio-Lebensmittel erreichen in diesem Milieu einen Index-Wert von 2,78, im gehobenen Milieu noch 1,89, im einfach-prekären Milieu allerdings nur 0,09 (UBA: Anhang A, Tab.16).
Ähnlich sieht es bei der Bekleidung mit Ökosiegel aus: Indexwert im kritisch-kreativen Milieu: 2,49, im gehobenen Milieu 1,50, im einfach-prekären Milieu 0,09. (UBA, ebd.) Der mittlere Energieverbrauch für Kleidung im Allgemeinen ist im gehobenen Milieu mehr als drei Mal so hoch wie in den einfach-prekären Milieus und fast 2,5 Mal so hoch wie in den kritisch-kreativen Milieus. Sprich: „meine Lieblingsboutique heißt Flohmarkt“ dürfte nicht unbedingt der Wahlspruch sein, wenn man mehr als 3000 € verdient.
Mobilität
Der Energieverbrauch für Alltagsmobilität, also Fahrten zur Arbeit oder zu Freizeitvergnügungen, unterscheidet sich deutlich nach Bildungsstand:
Bei Personen mit Hauptschulabschluss liegt er bei 2612,8 KWh/a (einfache, prekäre Milieus: 1985,9),
wer Abitur hat, verbraucht 4451,7 KWh/a (kritisch-kreative Milieus: 4351,1),
Hochschulabsolventen liegen bereits bei 6215,7 KWh/a (gehobene Milieus: 6787,6). (UBA, Anhang A, Tabelle 9)
Dies erklärt sich daraus, dass ein höheres Bildungsniveau oftmals Fahrten zum Arbeitsplatz in einer anderen Stadt erfordert, gern Events an anderen Orten besucht werden oder die Sauna, die 12 % der Deutschen gern nutzen (davon 16 % die eigene), selten fußläufig erreichbar ist. Vielfliegerei dank des Jobs fällt im prekären Milieu flach. Die Freizeit wird vor dem Fernseher, Computer oder im Kreise von Verwandten und Freundinnen verbracht. Das gehobene Milieu ist das einzige, bei dem der Energieverbrauch für Alltagsmobiliät den für die Heizkosten übersteigt.
Doch es gibt ja auch noch die Spaß-, Bildungs- und Urlaubsreisen.
Der Reise-Energieverbrauch für Urlaubsreisen verursacht pro Kopf im gehobenen Milieu 1215,2 KWh/a. Während das kritisch-kreative Milieu mit 805,9 KWh/a den zweiten Tabellenplatz belegt,
kommt man im einfach-prekären Milieu auf schlappe 281 KWh/a für den Urlaub.
Diese Zahlen wundern nicht, wenn wir bedenken, dass Schulauslandsjahre junger Menschen aus gehobenen Milieus mittlerweile bis Neuseeland führen, dass die Osterinseln oder die Azteken-Pyramiden zum Bildungsprogramm gehören und das kritisch-kreative Milieu gern so italophil ist, dass 3 kleine Reisen pro Jahr einfach sein müssen. Was keineswegs bedeutet, dass Menschen aus prekären Milieus auf Balkonien nicht von den Orten träumen, die andere bereisen können oder sich doch wenigstens den Billigflieger nach Malle oder Antalya gönnen.
Gesamtenergieverbrauch: Einkommen unter 1000 €: etwa 12.000 KWh/a, 2000-2999 €: ca. 17.000, mehr als 3000 € : fast 20.000 (UBA Tab. 19, S. 63)
„Die bi- und multivariaten Analysen zeigen, dass der personenbezogene Gesamtenergieverbrauch stark mit der Höhe des Einkommens und mit dem formalen Bildungsstand steigt. (…) Bemerkenswert ist, dass er in den sozialen Milieusegmenten mit verbreitet positiven Umwelteinstellungen überdurchschnittlich hoch ist.“ (UBA, S. 4)
Angestrengte und teils kostenintensive Bemühungen (Gerät nach Gebrauch vom Netz trennen, hohe Energieeffizienzklassen, unverpackt einkaufen, Bio-Label oder eigener Gemüseanbau) ändern wenig an unserem Gesamtverbrauch. Wir machen die Punkte beim Heizen und i. S. Mobilität.
Eine WHO-Studie gibt an, dass in Deutschland jährlich 37.000 Menschen (weltweit 7 Mio) an den Folgen vergifteter Luft sterben– Sulfat, Nitrat, Feinstaub, Ruß, verursacht durch Wirtschaft, Auto- und Flugverkehr. Der Corona-Lockdown jedoch hat Deutschland zum „Luftkurort“ gemacht, wie Daniela Dahn schreibt.
Die Chance, unser persönliches Verhalten zu überdenken, ist gekommen. Vielleicht muss ich auf mein Zimmer für mich allein nicht verzichten, kann es aber auch für die Erwerbsarbeit als homeoffice nutzen, also an Fahrten und Büroheizkosten sparen. Bequem und pünktlich ist die Bahn, mit der ich Arbeit oder Ausstellungen erreichen kann, nicht. Aber sie könnte es werden, wenn viele darauf drängen. Die Osterinseln hingegen werden auch nicht schöner als in Bildbänden, nur weil ich mal da war. Und müssen unsere CO2-Kids in Neuseeland Freunde aus Argentinien oder Canada gewinnen, die später besucht werden wollen? Sind Französinnen, Polen oder Schwedende etwa nicht spannend und überdies ohne Flug erreichbar? Für unsere neuen WeltbürgerInnen-Identitäten sollten wir jetzt und dringend neue Konzepte ersinnen.
Die Frage ist, ob wir derlei Maßnahmen als unzumutbare Beschränkung unseres Lebensstils oder als großmütigen Verzicht zugunsten von 37.000 Leben verstehen.
„Die geringsten Ressourcenverbräuche haben im Mittel Angehörige der einfachen, prekären Milieus. Die Verbreitung positiver Umwelteinstellungen liegt in diesem Milieusegment weit unter dem Durchschnitt, vergleichsweise wenige haben den Vorsatz, Energie und andere Ressourcen einzusparen (…). Letztlich führt aber wohl der Mangel an finanziellen Mitteln zu einem ungewollt ressourcensparenden Lebensstil.“ (UBA, S. 85)
Deutlicher noch drückt es Aladin El-Mafaalani aus:
„Man muss ein Stück vom Kuchen haben, um beurteilen zu können, ob es nicht ein besseres Rezept geben könnte. Wer (noch) nichts vom Kuchen abbekommen hat, will ein Stück von genau diesem Kuchen – und könnte aggressiv werden, wenn diejenigen, die schon reichlich hatten, darüber reden, ob nicht ein anderer Kuchen besser für die Allgemeinheit wäre (und auch besser für den armen Teil der Bevölkerung, der gar nicht erst von diesem unvollkommenen Kuchen essen sollte).“ (S. 52)
Literatur:
Umweltbundesamt (UBA): Repräsentative Erhebung von Pro-Kopf-Verbräuchen natürlicher Ressourcen in Deutschland (nach Bevölkerungsgruppen), Dessau 2016. Zu finden auf der homepage des UBA, Texte 39/2016
Aladin El Mafaalani: Mythos Bildung. Die ungerechte Gesellschaft, ihr Bildungssystem und seine Zukunft, Köln 2020
Daniela Dahn: Verrückte Maßstäbe, in: Der Freitag, Nr. 17, 23.4.2020