Astrid Petermeier

Neues aus dem Rührgebiet

Astrid Petermeier: Trau keinem unter Dreissig

Mein Patenkind wird Dreißig! Und wünscht sich von mir den typischen runden Geburtstag. Na, das kann ja heiter werden. Als sie stolze zehn Jahre zählte, fand Sara den „Tag mit Tante Ella“ fantastisch, aufregend, kaum zu überbieten. Mit zwanzig jedoch peinigten meine Einfälle sie so sehr, dass sie tags darauf ihre Klamöttkes packte, zum Studium des Modedesigns an den Rhein zog und eine Dame wurde.
„Ich habe mich extra am Tag vor dir auf die Welt gedrängelt, damit du nicht allein feiern musst.“ versichert sie mir jetzt am Telefon. „Also komme ich an meinem Geburtstag zu dir und entführe dich zu deinem 26. nach Düsseldorf.“
Netter Zahlendreher, doch kein Grund, ausgerechnet ins feine Düsseldorf zu fahren und mich dort von meiner Nichte mit Schampus abfüllen zu lassen. Unter einem schönen Geburtstagsgeschenk stelle ich mir was anderes vor. Tja, sie ist ein Madamchen geworden, meine freche kleine Sara, ein Madamchen mit eigener Boutique und Modelinie. Was soll’s? Sie ist mein Lieblingspatenkind und soll Spaß haben an ihrem Ehrentag. Da muss ich mich richtig ins Zeug legen.
Bei Tiffany’s gibt es Frühstück mit Modenschau, am Nachmittag gönnen wir uns Wellness in Wischlingen und abends den Zehn-Tenöre-Ohrenschmaus im Konzerthaus. Das dürfte ihr gefallen und ich werde für den Rest des Monats Pleite sein.
Schon hupt es wie wild vor meinem Haus.
„Ich kann keinen Parkplatz finden!“ schreit sie aus ihrem schwarzen Cabrio mit Kennzeichen D. Wieso? Sie hat doch schon einen in zweiter Reihe. Kindchen, das ist die Nordstadt, da kannst du parken wie in Istanbul. Wenigstens fällt sie hier in ihrem verrückten Frack nicht weiter auf: aus buntem afrikanischen Tuch hat sie sich eine Dirigentenjacke mit Schwalbenschwänzen genäht. Jede Wette: da, wo sie herkommt, ist das der Verkaufsschlager.
Als ich ihr das Programm des Tages vortrage, sieht sie mich entgeistert an. Das könne sie alles auch in Düsseldorf haben.
„Weißt du nicht mehr, wie runder Geburtstag geht?“
Und ob ich das weiß: eines ergibt sich aus dem anderen und zum Schluss kommt ein Abenteuer.
„Ich will mich richtig amüsieren, Tante Ella, noch mal ordentlich auf die Kacke hauen, bevor…“
„Bevor was?“
„Bevor ich Dreißig werde und erwachsen sein muss.“
Als ob das so schlimm wäre. Ich bin schon seit 32 Jahren über Dreißig und nie erwachsen geworden.
„Nixda, du wirst 26 und morgen schon sehen, was das heißt.“ antwortet sie und verkündet, dass sie lieber auf dem Nordmarkt als bei Tiffany’s frühstücken wolle. Na großartig! Die Eintrittskarten für Brunch mit Modenschau waren erstens schwer zu ergattern und zweitens nicht gerade billig. Aber was tut man nicht alles für’s Patenkind? Ich schenke sie meiner Flodder-Nachbarin und grinse bei der Vorstellung, wie der Rest des Publikums die Nase rümpft.

Wir schieben los. Kurz bevor wir den Markt erreichen, müssen wir der langen Schlange Obdachloser ausweichen. Sara will wissen, was hier los ist. Ich deute auf das Schild über einem Laden. KANA, die Suppenküche.
„Komm‘, da stellen wir uns an. Da kann ich schon mal üben.“
So weit kommt’s noch. Das feine Madamchen amüsiert sich auf Kosten der Armen. Mit sanfter Gewalt ziehe ich sie weiter.
Sie staunt nicht schlecht über die Veränderungen auf dem Nordmarkt. Es hat sich unter Türkinnen bis Witten herumgesprochen, dass man hier gut und billig einkaufen kann. Längst ist es kein reiner Lebensmittelmarkt mehr: Batterien und Knoblauchpressen, Pfannen in allen Größen, Stoffe und Kurzwaren, Tand und Glitzerkram ergänzen das Angebot. Der Fischhändler ist fast der letzte Deutsche unter den Verkäufern. Im Gegensatz zu mir zieht Sara den Krabbenbrötchen eines mit Matjes vor.
„Ist billiger.“ grinst sie mich an. „Jetzt haben wir noch 24,80 für den Rest des Tages.“
„Wie meinen?“ erkundige ich mich.
„Na, zu meinem zehnten Geburtstag hatten wir zehn Mark, zum zwanzigsten zwanzig Euro. Also sind es heute dreißig, die wir verjuxen können.“
„Lass mich bloß nicht auf meinen Konzertkarten sitzen.“ flehe ich mein Patenkind an. Ich weiß, dass sie eine kleine Egoistin ist – doch sie weiß nicht, was ich dafür hingeblättert habe.
„Melonen!“ schreit sie. „Tante Ella, weißt du noch?“
Wie peinlich! Zu ihrem Zwanzigsten landeten wir zum Schluss beim Karaoke und mein Nichtchen versank in Schamesröte, als ich mit beiden Händen den Busen anhob und Lieder für Melonen vorführte.
„Kaufst du mir eine?“
Ein dicker Kurzwarenhändler rettet mich, bevor sie dem Melonenfritzen erklären kann, was sie will.
„Billiger, billiger, billiger, billiger!“ schreit er mit der Stimmgewalt von mindestens zwanzig Tenören. Sara hält sich die Ohren zu, starrt ihn an.
„Billiger, billiger, billiger… SARA?“
Schon wirft sie fast einen Kinderwagen um, springt quasi über seinen Stand und landet in des Billig-Händlers Armen. Ich brauche eine Weile, bis ich ihn erkenne. Ersin, ihr pummeliger Kinderfreund. Sieh‘ da, er ist Markthändler geworden und macht genau so in Mode wie meine Sara. Das sage ich ihr besser nicht.
„Kennst du noch meine Tante Ella?“
„Na klar, Lieder für Melonen, wer könnte das vergessen?“
Eine Afrikanerin zupft interessiert an Saras Frack.
„Was kostet?“
Ich nutze die Gelegenheit, eine der großen grünen Früchte für sie zu ergattern. Für ganze Einsfünzig erhalte ich eine monströs große Melone. Es bleiben uns noch 23,30.
Derweil hat Sara sich zur besten Verkaufshilfe gemausert, die Ersin sich wünschen kann. Ihr bunter Fummel zieht die Kundinnen magisch an. Sie berät bei der Auswahl von Knöpfen und Borten, packt Nähseide in Tütchen.
„Bis nachher!“ verabschiedet er sie und grinst meine Melone an. „Ihr bringt den Nachtisch mit und ich organisiere die Würstchen.“
Was meint er mit nachher?
„Wellness.“ strahlt Sara. „Aber nicht im teuren Solebad, sondern auf der Schweinewiese am Kanal. Siehst du? Eins ergibt das andere.“
„Frolleinchen! Hast du seinen Ehering gesehen?“
„Er bringt Lena und die Blagen mit. Stell dir vor: der dicke kleine Ersin hat das Herz unserer Klassenbesten errungen. Die hat sich bestimmt auch was anderes als einen Markthändler gewünscht.“
Tja, da bricht sie wieder durch, Saras Düsseldorfer Seele.

„Im Gegensatz zu dir hat Lena ihr Glück gefunden.“ zischele ich ihr zu, als wir von der Deusener Brücke auf eine Familie sehen, die ihren Grill am Kanal aufbaut. Sara stellt entsetzt fest, dass die Schweinewiese keineswegs so heißt, weil man hier nackt badet. Diesen Namen haben ihr die wenigen verpasst, die nach dem Gelage ihren Müll wieder mitnehmen.
Ich behaupte, die Kinder vor Scherben schützen zu wollen, als ich mein Patenkind verdonnere, den Platz für ihr Geburtstagsmahl von Flaschen und Dosen zu befreien. Lena lacht mich dankbar an und hilft sofort. Schulfreundinnen waren die beiden nicht gerade, weil Lena fleißig und Sara eine Unruhestifterin war. Doch schon schattern sie, als habe es nie Missgunst gegeben. Ausgerechnet bei meinem unsäglichen Auftritt vor zehn Jahren haben sich Lena und Ersin kennengelernt.
„Melonentanz, Melonentanz!“ fordern ihre Knirpse und springen ins Wasser, um sich die besten Zuschauerplätze zu sichern.
„Keinesfalls!“ aus Ersin ist ein braver Moslem geworden, der seinen Kindern keine Vorführung erhobener Brüste zumuten will.
„Und ob!“ widerspricht Sara. „Um elf Uhr heute Nacht muss ich dreißig und erwachsen werden, aber bis dahin darf ich noch.“
Sagte ich nicht, dass meine Nichte eine rücksichtslose Egoistin ist? Sie schmeißt sich ins Gebüsch, zieht meinen viel zu großen Badeanzug an und stopft ihn mit der Melone aus. Was für ein Platsch, als sie damit ins Wasser springt!
„Wenn sie sich in Düsseldorf so aufführte, würde man sie davonjagen.“ unke ich Lena zu, die auf den Nachtisch verzichten will, weil man ja nie weiß, was in diesem Wasser alles schwimmt.
„Was habt ihr mit dem Abend vor?“ erkundigt sie sich.
„Na!“ Ersin sieht seine Gattin bass erstaunt an. „Das Spiel gegen die Bayern!“
„An meinem Geburtstag? Jau! Das ist es!“ wie Neptun persönlich taucht Sara aus dem Kanal auf.
Lena macht ein langes Gesicht und ich sehe meine Konzertkarten baden gehen.
„Nee, Ersin, nicht heute.“ mault Lena. Sie hat die Kleinen extra bei ihrer Mutter eingebucht und sich auf einen schönen Abend zum Zehnjährigen gefreut. Doch gegen Fußball war im Ruhrgebiet noch nie ein Kraut gewachsen. Und gegen meine Sara erst Recht nicht.
„Ich dachte, wir gehen mal in ein schönes Konzert.“ seufzt Lena noch und wird von BVB-Gesängen ihrer Kinder übertönt. Sara funkt mich an. Ihre Augen sprühen flehentlich.

Als Lena und ich aus dem Konzert kommen, sind die Straßen menschenleer. Beglückt summt sie die Zugabemelodie und betont, wie schön es war, den Abend mit ihrer Ehestifterin zu verbringen. Ersin hätte ja doch nur auf sein Smartphone geguckt, um ja kein Tor zu verpassen. Seltsam, auf dem Weg vom Konzerthaus zur Kneipe begegnen uns in der sonst so belebten Nordstadt gerade mal ein Hund und ein Polizeiwagen.
„Verlängerung und Elfmeterschießen!“ brüllt Sara, als wir die Kneipe betreten. „Einmal haben die Bajuffen schon danebengetreten.“
Aus meiner Modedesignerin ist wieder die Nordstadtgöre geworden. Mit schwarzgelbem Schal, hochrotem Kopf und heiser vom Schreien steht sie inmitten der Fans und Säufer und ist selig.
„Auf meinen Dreißigsten! Hau‘ ne rein!“ fordert sie lautstark und Sebastian Kehl tut’s.
„Von ihren Torprämien dürfen die Herren Fußballmillionäre morgen gern in deiner Boutique einkaufen gehen.“ freue ich mich mit ihr.
Darauf zuckt sie nicht.
„Tante Ella und ich schmeißen ’ne Tresenrunde!“ kräht sie und dirigiert Siegesgesänge aus den Kehlen von zig trunkenen Tenören. Brav lege ich den Rest des Tages auf den Tisch des Hauses. Dafür wird mir die schwarzgelb geschmückte Melone wie ein Pokal überreicht. Dieses Ding werde ich wohl nie wieder los.

„So, mein liebes Tantchen. Jetzt chauffiere ich dich nach Düsseldorf und morgen gibt’s dein 26. Abenteuer.“
Ach, was soll an Düsseldorf schon abenteuerlich sein? Ein Geschenk der Liebe wäre mir lieber. Doch sie soll ihr Abenteuer schneller bekommen, als ihr lieb ist.
Das Cabrio ist weg.
„Ich muss nach Düsseldorf und zwar mit Auto.“ jammert sie. „Wenn ich morgen um Neun nicht in meiner Wohnung bin…“
„…verschalt der Champagner?“ erkundige ich mich.
Nach einem solchen Spiel bei der Polizei anzurufen, um nach einem abgeschleppten Wagen zu fragen, ist ein Witz.
„Wir nehmen die Bahn!“ frohlocke ich.
Es bereitet mir diebische Freude, ihr den Kauf einer Fahrkarte zu verweigern, indem nun ich auf den Regeln bestehe. Erstens: die dreißig Euro sind ausgegeben. Zweitens: ein fehlendes Auto ist noch kein Abenteuer, Schwarzfahren schon. Ungezählte Fans sind auf dem Heimweg, verstopfen die Bahn. Doch Sara hat den Spaß an der Freud mit ihrem Cabrio verloren.
„Wenn wir schon schwarzfahren, können wir das auch erster Klasse tun.“ schlage ich vor.
Wo der Kontrolleur natürlich erst Recht nicht lange auf sich warten lässt. Sie wird kreidebleich.
„Unter den Sitz!“ befehle ich. „Vertrau mir, das wird schon schief gehen.“
Sie krabbelt in den Dreck und ich zeige dem Kontrolleur ungerührt mein Bärenticket, auf dem eine alte Dame mit Begleitperson erster Klasse reisen darf.
„Zu wem gehört die Melone dort?“ will er wissen.
„Zu meiner Nichte.“ behaupte ich und deute unter den Sitz. „Die sucht das Abenteuer.“
„Zu meiner Tante!“ tönt es unter dem Sitz hervor. „Trau keinem unter Dreißig!“

Bis wir endlich in ihrer eiskalt durchgestylten Wohnung sind, ist unsere Feierstimmung dahingegangen wie der Sieg der Bayern. Ich bin maulig, weil ich all‘ die teuren Eintrittskarten für nichts und wieder nichts gekauft habe.
„Vor zehn Jahren warst du entsetzt über meine Lieder für Melonen. Deshalb wollte ich heute das Gegenteil für dich inszenieren und was ist? Wieder alles falsch.“
„Tante Ella, Zwangsbeglückung hat noch nie funktioniert.“
Wie bitte? Zwangsbeglückung? Ich werfe ihr wütend die Egozentrikerin an den Kopf.
„Na, dann wollen wir mal sehen, wie dir meine Geburtstagsüberraschung morgen schmeckt.“ grinst sie und schickt mich ins Bett.

In aller Frühe höre ich Sara telefonieren. Na klar, sie kümmert sich um ihr Cabrio, statt mir ein schönes Geburtstagsfrühstück zu bereiten. Doch dann geht’s los mit Überraschung und Abenteuer:
Um neun Uhr steht der Gerichtsvollzieher auf der Matte.
„Sagte ich dir nicht gestern bei Kana, dass ich schon mal üben muss?“
Er klebt den Kuckuck auf ihre Designermöbel und staunt nicht schlecht, als sie ihm mitteilt, wo er ihr Cabrio auslösen darf. Sara ist mit ihrer Boutique klammheimlich Pleite gegangen, weil ihre Vorliebe für afrikanische Stoffe in Düsseldorf selbst einem Gerichtsvollzieher zu bunt ist.
Wir futtern die Melone und grinsen uns an.
Mein Geburtstagsgeschenk besteht darin, dass ich mein Patenkind wiederhabe. Mit ihren Stoffen, die als Einziges kuckucksfrei blieben, handelt sie jetzt auf dem Nordmarkt. Gleich zwischen Ersin und den Melonen. Eins ergibt eben das andere…

Mai 2015

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