Astrid Petermeier

Neues aus dem Rührgebiet

Astrid Petermeier: Warme Weihnacht

„Fromagerie Francoise wünscht herzhafte Weihnachten.“
Im Leuchtwerbekasten an der Bushaltestelle macht meine Fotografie richtig was her. Man könnte Lust auf eine Käseplatte wie diese zum Abschluss des Festschmauses bekommen.
Ich hingegen sage nur: Nie wieder food! Nicht mal für meine Nachbarin Franziska.

„Guck mal, Mama: der Hund! Den kennen wir doch.“
Goldlöckchen hat den eyecatcher meiner Werbung entdeckt und ist verzückt. Die Mama lächelt wie um Entschuldigung heischend. Ich ignoriere sie, betrachte kritischen Auges das Plakat.

Von vorn läuft ein Brie auf den Betrachter zu. Sofort habe ich seinen Geruch wieder in der Nase. Ekelhaft! Tagelang floss mir dieses schmierige Zeug unter dem Scheinwerfer weg. Brie und Konsorten lehrten mich die Kunst des Luftanhaltens bis zum Gehtnichtmehr. Wie oft habe ich mir im letzten Sommer ausgemalt, was die Sanitäter wohl denken, wenn sie einer schweißnassen, nach Käse müffelnden Frau im Slip die Mund-zu-Mund-Beatmung geben müssen? Vermutlich hätten sie sich gefragt, warum die mitten im Hochsommer in einem Studio unter schwarzem Teerpappdach auch noch die Fenster verdunkelt und den Raum wie wild mit Haarspray einnebelt.

„Mama, kriege ich auch so einen?“
Die Mama deutet listig auf den Echourgnac gleich hinter dem Brie.
„Aber klar doch, den magst du bestimmt. Schau nur, wie er leuchtet.“
Die Kleine schüttelt empört ihre Goldlöckchen und Mama kontrolliert den Fahrplan.

Ausgestopft mit Plastikeiswürfeln, eingepinselt mit Klarlack und fixiert mit Haarspray habe ich den fließenden Brie in den Griff gekriegt. Franziskas Honorar reichte nicht, um eine Foodstylistin hinzuzuziehen. Tja, Fromagerie Francoise klingt edler als „Franzis Käse“. Nur meine Bezahlung, die war alles andere als edel, sodass ich mir das Styling selbst ausdenken musste.
Der Echourgnac, für den Mama ihr Goldlöckchen zu interessieren versucht, war zwar von härterer Konsistenz als der Brie, verströmte beizeiten jedoch ebenfalls sein Odeur. Hübsch sieht das dreieckige Stück auf der winterlichen Werbung aus, goldglänzend dank eines hauchdünnen Bronzeüberzugs, auf dem die Schneeflöckchen aus Styropor gut zur Geltung kommen. Die durchscheinende Spitze von hinten zu beleuchten, war ein Kunststück. Unter einem Spotlicht wurde sie zu schnell weich, ein Teelicht dahinter kostete zu viel Platz. Am Ende drückte ich LED-Lichterstreifen in die Rückseite. Die geben kaum Wärme ab, aber tolle Effekte. Am fünften und letzten Tag des Käsefotoshootings waren die Temperaturen endlich auf nur 30 Grad gesunken. Die hielten den Echourgnac allerdings nicht davon ab, meine LEDs so zu umschmelzen, dass ich sie hernach abhaken und Franzi auf die Rechnung setzen konnte.

„Ich will keinen Käse, Mama!“
Recht so, kleines Goldlöckchen, ich will auch nie wieder Käse. Die Mama versucht es erneut mit Ablenkung, denn der Bus hat Verspätung.
„Sieh‘ mal, dort ist eine Feige. Mmmh, die sind herrlich süß. Wollen wir auf dem Weihnachtsmarkt Feigen probieren?“

An den Feigen hat Franzi erbärmlich gespart. Sie hat ohnehin nicht verstanden, warum ich zehn Mal soviel Käse brauchte, wie auf dem Foto zu sehen ist. Insofern lieferte sie nur eine einzige Feige und jammerte über deren Preis. Als Weihnachtsdeko und Kontrast zum Käse muss die Feige außen violett und innen rosig sein. Im Sommer sind die Dinger außen grün – ich opferte meinen Nagellack. Kaum halbiert und unter die heißen Scheinwerfer gelegt, faulte sie fröhlich vor sich hin. Das will niemand sehen. Also löste ich das Fruchtfleisch immer wieder aus und drehte es um. Goldlöckchen, vor Feigen kann ich nur warnen!
Mein Blick fällt auf die schimmernde Weihnachtskugel in passendem Violett. Man treibe im Juli mal sowas auf. Erst im siebten Nachbarskeller wurde ich fündig. In meinem Besitz befand sich nämlich nur eine silberne, die zwischen Morbier und Couronne Lochoise wunderschön funkelte. Aber leider spiegelte sich darin immer wieder der Fisch, der gefälligst unsichtbar bleiben musste. Hängte ich ihn weiter vorn von der Decke ab, übertönte der Käsegeruch den Fischgestank. Das war nun ganz schlecht für Apollos Nase, die ohnehin schon flatterte wie ein Windsack bei Sturm.

„Maaa-maaa! Feigen mag ich nicht!“
Tja, werte Frau Mama, jetzt bin ich mal gespannt, was dir noch einfällt.
Ich weiß genau, was dein Goldlöckchen sich wünscht:
meinen Hund, Apollo, Star des Fromagerie-Plakats.

Der sich am ersten Shootingtag wie Blücher in die Käseschlacht stürzte, mit der Schnauze regelrecht darin versank, die Pfoten tief in den Brie steckte und tödlich beleidigt war, als ich ihm die Schmiere aus dem Fell wusch. Da das bei seinem Langhaarfell ein mühseliges Unterfangen ist, stank er tagelang schlimmer als jeder Entengrützteich, hielt sich selbst aber für einen wandelnden Parfümflacon. In der Hoffnung, er würde sich daran so überfressen, dass ihn nie mehr nach fromage gelüstete, überließ ich Apollo die erste Ladung Fotokäse. Woraufhin er so satt war, dass er auf seinem angenehm kühlen Kissen einschlief. Toll! Meine Idee war, dass Apollo wahlweise begeistert auf den Käse oder himmelnd nach oben blicken und sich das Maul schlecken sollte.
Genau so, wie er es jetzt auf dem Plakat tut.

„Mama, so einen wünsche ich mir zu Weihnachten.“
„Der Bus kommt.“ frohlockt Frau Mutter. Wer will schon mit einem quengelnden Kind, dem man gerade die Wahrheit gesagt hat, auf den Weihnachtsmarkt? Alsbald aber bemerkt sie schreckgeweiteten Auges, dass sie noch lange nicht von mir und Apollo erlöst ist. Der Bus liegt tief, so tief, dass er den Schneematsch bereits vor sich herschiebt.
„Schau nur, er trägt ein Tannenbäumchen obenauf.“

Wie sollte ich bloß meinen vollgefressenen Apollo wieder wachkriegen? Mit Fisch. Er liebt Fisch über alles. Wenn er nicht gerade zu viel Käse intus hat. Für den ersten Tag konnte ich Apollo vergessen. Todmüde döste er in der Hitze, fast musste ich ihn vom Studio in unsere Wohnung tragen. Erinnert sich noch jemand an die heißen Julinächte, in denen die Temperaturen gerade mal von 35 auf 28 Grad sanken? Ich war selig, zu Hause die Fenster auf Durchzug stellen zu können. Und das musste ich auch: Apollo furzte sich käsig durch die Sommernacht.
Tags darauf hing ich den Fisch von der Decke ab. Großartig, Apollo himmelte ihn an und ließ seine Zunge spielen. Weniger begeistert ist er gewesen, als ich den Echourgnac mit Goldbronze, den Brie mit Klarlack und Haarspray überzog. Der Fisch würde sein großer Preis sein, sobald ich das Foto im Kasten hatte. Ich entblößte mich bis auf den Slip und sehnte mich nach einem Sprung ins kalte Wasser. Apollo sah ich an Nasenspitze an, dass er von dem kleinen Teich im Fredenbaumpark träumte. Warum hatte ich mich nur vor Entengrützgeruch auf Hundefell gefürchtet? Die olfaktorische Mischung aus Nagellack und Haarspray, laufendem Brie, faulender Feige und stinkendem Fisch toppte das lässig. Es kam mir vor, als sei die letzte Woche, in der ich im Park fröhlich den Hund trainierte, schon Lichtjahre her. Lichtjahre voll von Käse, fromage, cheeeeese!

„Er heißt Apollo und liebt Mützen.“ verrate ich Goldlöckchen und lasse mich mit Blicken von Mama töten.
„Weiß ich doch.“ strahlt die Kleine.
Der Weihnachtsmarktbus ist pickepackevoll, da geht keine Maus und kein Stück Käse mehr rein. Wir müssen auf den nächsten warten. Die Mama unternimmt einen geradezu ketzerischen Versuch, ihr Goldlöckchen von meinem Apollo abzulenken.
„Auf dem Weihnachtsmarkt kaufe ich dir auch so eine lustige Mütze. Mit Blinkies!“

Sie war nicht die Einzige, die reichlich blöde geglotzt hat, als Apollo im Juli bei 38 Grad im Schatten mit einer Weihnachtsmütze auf dem Kopf durch den Park trabte. Goldlöckchen lachte, doch Mama sah mich strafend an: so, als schwitze der arme Hund auf dem Kopf und nicht unter der Zunge. Er musste so lange üben, die dösige Mütze auf dem Kopf zu behalten, bis sie ihm wie festgewachsen schien. Eine Woche lang trainierten wir, wobei er mir zwei Mützen im Teich verdaddelt hat. Des Hundes Abkühlung brachte mir Entengrütze auf dem weißen Plüsch der roten Mütze ein und ich machte die Erfahrung, dass die billigen Dinger nicht waschmaschinenfest sind. Zu seinem Troste hielt ich danach Apollos Fotokissen kühl und feucht, was er sehr zu schätzen wusste.
An dem Tag, an dem ich erstmalig mit Goldlöckchen und Mama zusammenstieß, trug Apollo die dritte und letzte Mütze. Die musste einfach überleben! Also pfiff ich den Hund zurück, als er schwanzwedelnd auf den Teich zu rannte.
„Tierquälerin!“ empörte sich Mama und zog Goldlöckchen fort.

„Ich will keine Mütze, ich will einen Hund!“
Goldlöckchen stampft trotzig auf.
„Auf dem Weihnachtsmarkt gibt es wunderschöne Plüschhunde.“ Mama klingt bereits flehentlich. „Die bewegen sich sogar.“
„Ich will aber einen labendigen Hund!“ kreischt Goldlöckchen. „So einen wie Apollo.“
„Das geht nicht.“ erklärt die Mama jetzt belehrend. „Wir fliegen Weihnachten doch auf die Kapverden und im Flugzeug nehmen sie keine leeebendigen Hunde mit.“
Goldlöckchen sieht mich fragend an.
„Das ist richtig.“ sage ich.
Die Kleine verzieht das Gesicht so beleidigt wie Apollo, als ich den stinkenden Brie mit Haarspray einnebelte. Mama gibt sich einem letzten Versuch hin, sie abzulenken.
„Auf den Kapverden ist jetzt Sommer. Das magst du doch, wenn es richtig schön warm ist.“
Sehnsüchtig blickt Goldlöckchen zu mir und meinem Hund. Ich grinse sie an.
„Weihnachten im Sommer ist Käse.“

Astrid Petermeier, 23.11.2015

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