eine deutsch-griechische Weihnachtsgeschichte aus dem Krisenjahre 2012
„Erst den Deutschen hier die Arbeitsplätze wegnehmen und dann im Alter noch unsere Sozialhilfe kassieren. Diesem faulen Griechen werde ich keine Weihnachtsgeschenke machen.“
So lautete Mutters Antwort auf des Sohnes Bitte. An Stelle der üblichen SOS-Gabe (wann trug er schon Schlipse?) hatte sich Jürgen Eiermann zehn Tabakpäckchen für Akropolis, seinen besonderen Schützling im Altersheim, gewünscht. Alsdenn: wenn Mutter die weihnachtliche Welt auf diese Weise betrachten wollte, würde er in der Heiligen Nacht eben Dienst schieben. Schwester Margarethe freute sich wie eine Schneekönigin, als er ihr dies mitteilte. Der Weihnachtsmann würde Eiermann heißen, denn man fand selten Freiwillige für diese Nacht.
Zu Beginn seiner heutigen Schicht versorgte er erst alle Inkontinenten, um seine Vorfreude auf das Tavli-Spiel mit Akropolis zu steigern. Schwester Margarethes „da fehlt noch einer“ bei der Übergabe maß er keine große Bedeutung bei. Öppes Schiri ging gern mal in die Kneipe, wenn es Fußball gab. Zwar hatten die Bewohner um 22 Uhr wieder im Haus zu sein. Doch Öppes Schiri lachte nur darüber.
„Was wollen Sie denn machen?“ pflegte der 77-Jährige den Hausdrachen frech angezugrinsen. „Mich zu meiner Mutter zurückschicken?“
Jürgen dachte bei sich, dass er Öppes Schiri vielleicht zu seiner Mutter schicken sollte, auf dass der ehemalige Bergmann ihr bis Weihnachten klar machte, wie nötig man die Griechen, Türken, Italiener damals im Pütt gebraucht hatte. Er klopfte an seine Zimmertür und erhielt ein angesäuseltes „Heja BVB“ zur Antwort. Hier war die Welt also in bester Ordung.
Potzblitz! Akropolis’ Zimmer war leer!
Jürgen sah sofort den Wackeldackel auf dem Tisch, der einen Zettel im Maul trug. Es war also wieder so weit. In jedem Jahr verschwand der alte Akropolis für einen Monat und hinterließ dem Dackel einen Zettel, auf dem das Datum seiner Rückkehr zu lesen war. Ojemineh! Ohne Tavli und ohne Akropolis würde die Heiligabendschicht in zwei Wochen nicht besonders lustig. Was wollte der Alte denn ausgerechnet im Dezember in seiner Heimat, wo man ganz orthodox erst am 6. Januar Weihachten feierte? Noch dazu in diesem Jahre 2012, in dem jeder, der irgendwie konnte, zusah, dass er aus Griechenland wegkam. Jürgen las voller Enttäuschung den Zettel.
AKROPOLIS ADIEU
war mit ungelenker Handschrift darauf geschrieben. Ihm wurde mulmig. Was sollte das bedeuten? Seit zehn Jahren fragte sich der ganze Stab des Maria-Hilf, von welchem Geld sich Akropolis seine jährliche Reise nach Griechenland leistete. Von 89 Euro Taschengeld, die ein Grundsicherungsempfänger erhielt, ganz gewiss nicht. Doch Akropolis hatte dieses Geheimnis nie gelüftet.
Jürgen setzte sich völlig verwirrt zu Öppes Schiri. Als der bemerkte, dass es den Pfleger nicht im Entferntesten interessierte, dass der BVB sich von Schalke hatte schruppen lassen, wurde er fuchtig.
„Hol’ deinen Akropolis doch zurück, wenn dir langweilig ist.“
Jürgen betonte, dass ihm nicht langweilig war, sondern er sich Sorgen machte. Öppes Schiris Antwort war sybillinisch.
„Was juckt mich das denn, dass Akropolis noch nie gleich zweimal im Jahr sein Kaloskopi Delphi verlieren sehen wollte?“
Tags darauf herrschte bei der Übergabe heller Aufruhr. Sachbearbeiterin Priese vom Sozialamt drohte, Akropolis die Grundsicherung zu sperren. Sie hatte einen Anruf aus einem griechischen Krankenhaus erhalten: man möge gefälligst ein Rückflugticket für den siechen Mitsitropoulos schicken. Jürgen begriff den ersten Teil des kryptischen „Akropolis Adieu“: der Alte hatte mitgekriegt, dass sie seinen Namen nicht behalten konnten und ihn der Einfachheit halber Akropolis nannten. Wie peinlich!
„Hast du sonst keine Sorgen?“ herrschte ihn Sr. Margarethe an. „Was glaubst du, was hier los ist, wenn die mitkriegt, dass er das jedes Jahr macht und wir es nicht gemeldet haben?“
„Adieu“, sagte Jürgen und überlegte, ob es einen Zusammenhang zwischen diesem Wort und siech geben konnte.
„Von wegen Adieu.“ fauchte Sr. Margarethe zurück. „Wir brauchen Akropolis am Tag vor Heiligabend hier.“
Am Tag vor Heiligabend trabte immer der WAZ-Fotograf an, um saumselige Bildchen von Akropolis, Nonna Chiumariello (die sie Oma Zigarillo nannten) und dem wahrlich siechen Araber zu machen, dem sie behufs Weihnachtlichkeit gern eine Wunderkerze in die zittrigen Hände drückten. Er kriegte das sowieso nicht mit und die Ruhrgebietspostille konnte „International X-Mas im Maria-Hilf“ titeln.
Jürgen ging ein Licht auf.
„Sage jetzt nicht, du hast Sozi-Priese mitgeteilt, Akropolis wäre gar nicht weg?“
Sr. Margarethe nickte. Sie hatte sogar behauptet, dass die griechischen Krankenhäuser auf diese Weise die Menschen nach Deutschland schickten, denen sie wegen der höllischen Situation in Griechenland nicht mehr helfen konnten. Sozi-Priese könne den putzmunteren alten Herrn gern in der Weihnachtsausgabe der WAZ bewundern.
Jürgen war beeindruckt. Wenn Sr. Margarethe, der katholischste aller Maria-Hilf-Drachen, bereit war, sich zu einer so kapitalen Lüge zu versteigen, musste auch er Einsatz zeigen.
„Wenn du mir frei gibst, fahre ich nach Griechenland und hole ihn.“
„Und wo willst du ihn bitteschön suchen? Ich kann unmöglich bei der Priese anrufen und fragen, um welches Krankenhaus auf dem Peleponnes es sich handelte.“
Jürgen setzte alles auf eine Karte.
„Was ist Kaloskopi Delphi?“ weckte er Öppes Schiri. Der deutete auf ein Fußball-Wimpelchen, das Akropolis ihm von einer seiner Reisen mitgebracht hatte. Aha, der Fußballverein von Delphi, der laut Öppes Schiri aus lauter Krücken bestand. Wenigstens wusste Jürgen nun, wo er zu suchen hatte.
Da die Kaffeekasse des Maria-Hilf nicht genug Geld für einen Flug hergab, entschloss Jürgen sich zur Reise mit dem Magic-Bus. Seine Tante, also die von Mutter zutiefst gehasste Hippie-Schwester, wollte in den Siebzigern damit bis Istanbul gekommen sein.
Hätte er geahnt, dass er drei Tage in einem Wrack von Bus unter Esoterikern verbringen musste – Jürgen hätte all sein Erspartes für einen Flug gegeben. Zu spät. Die Tatsache, dass der Maya-Kalender am 21. Dezember 2012 endete, trieb diese Herrschaften inklusive eines Hundes namens Apollo zum Orakel von Delphi. Man wollte schließlich noch vor diesem Tage wissen, ob die Welt wirklich unterging. Vermutlich, um sich notfalls die Weihnachtsgeschenke zu sparen, dachte sich Jürgen.
Sie erzählten ihm lang und schmutzig vom Tempel des Apollon zu Delphi, von Pythia, die als sein Medium und einzige Frau den Tempel betreten durfte, vom Kult um die Erdgöttin Gaia, der sie huldigen wollten, um ihre Erde vor dem Untergang zu erretten. „Ein Zeichen, ein Zeichen!“ riefen sie ein ums andere Mal aus. Bei einem Sackgassenschild musste Jürgen ihnen sogar Recht geben. Doch als sie das Ortseingangsschild von Delphi zum Zeichen erklärten, war Jürgen froh, aus dem Bus mit diesen komischen Heiligen klettern zu dürfen. Er schwor, darin keinesfalls die Rückreise anzutreten.
Das moderne Delphi hatte zwar nur knapp 10.000 Einwohner, bestand aber aus acht Gemeindebezirken und 36 Dörfern. Was sollte er tun? Anstelle des Orakels befragte Jürgen lieber Herrn Gugl Hüpf und stellte fest, dass es nur ein Krankenhaus, aber jede Menge piekfeine Gesundheitszentren gab. Im Krankenhaus war Akropolis nachweislich nicht. Er versuchte es mit dem ersten Gesundheitszentrum. Was für ein Unterschied zum städtischen Krankenhaus: da das Elend, hier die güldenen Wasserhähne. Man behandelte vorzugsweise die Orangenhäute von Touristinnen frei nach der Pythia-Methode. Als er fragte, wer wohl im Dortmunder Grundsicherungsamt angerufen haben könne, verwies man Jürgen alles andere als höflich wieder auf das Krankenhaus. Für Sozialfälle sei man dort zuständig.
Jürgen überlegte.
Wie hatte der Fußballverein von Delphi geheißen, den Öppes Schiri benannt hatte? So ähnlich wie Kalaidoskop. Wieder bemühte er Herrn Hüpf. Kaloskopi war also nicht das griechische Wort für Fußball, sondern eines der 36 delphinischen Dörfer.
Die Schönheit des korinthischen Golfs war ihm nach dem Elend, das er im Krankenhaus gesehen und der Arroganz, die er im selbsternannten Gesundheitszentrum erfahren hatte, Juppe wie Buxe.
In Kaloskopi suchte er gleich den Dorfarzt auf. In dessen Praxis hatte der schiere Wahnsinn die Herrschaft übernommen: Alte, um die sich niemand mehr kümmerte, weil ihre Kinder das durch Sparmaßnahmen in die Knie gezwungene Griechenland verlassen hatten; Menschen, die bei der Plünderung ihrer Häuser verletzt worden waren. Da die Wartezeit fast den ganzen Tag in Anspruch nahm, half Jürgen, wo er konnte. Einige wurden misstrauisch, als sie mitkriegten, dass Jürgen Deutscher war. Hilfe aus Deutschland hatte bislang wenig Gutes eingebracht, vielmehr dafür gesorgt, dass sogar die SOS-Kinderdörfer nun nicht mehr arbeiten konnten, da sie Steuern zahlen mussten. Endlich gelang es ihm, mit dem Arzt zu sprechen.
Halleluja, der hatte Akropolis versorgt! Er behauptete, der listige Alte befinde sich in einer Art Pythia-Dauertrance. Da er aus Deutschland gekommen war, hatte der völlig überarbeitete Arzt entschieden, dass sich die deutschen Mediziner vor Ort um Akropolis kümmern könnten. Jürgen verstand nur Bahnhof. Der Arzt gab ihm den Werbeprospekt der Gesundheitsoase Möller.
„Unter griechischer Sonne schön wie Pythia werden.“
Und unter dem Messer der plastischen Chirurgin Möller, die Lippen zu Schlauchbooten aufpumpte. Jürgen wurde nicht eben mit Jubel begrüßt, als er dort einlief.
„Erpresst hat er mich, dieser Kurpfuscher.“ fauchte die feine Dame und zitierte den Dorfarzt. „Du verdienst dir in meinem Land eine goldene Nase und willst dich jetzt nicht mal an deinen hypokratischen Eid erinnern? Hilf diesem Mann und wenn du ihm den Rückflug spendierst.“
Statt Akropolis einen Flug zu bezahlen, hatte die Schönheitschirurgin den Koffer des Taubstummen durchwühlt. Vermutlich wusste allein Pythia, warum der sprachlose Alte darin seinen Grundsicherungsbescheid mit sich führte. Immerhin enthielt der eine Telefonnummer und die hatte sie genutzt.
„Ferngespräch – wer erstattet mir das jetzt?“
„Taubstumm?“ gab Jürgen zurück. Akropolis sprach nie mehr als ein bis zwei Worte, aber er hörte wie ein Luchs und verstand mehr, als man glaubte. Doch die Schönheitschirurgin nickte, Akropolis grinste schweigend und schon hatte man die beiden vor die Tür gesetzt.
„Tavli?“
Wenn das nicht der Beweis dafür war, dass sich Akropolis weder in Dauertrance befand, wie der Dorfarzt behauptete, noch taubstumm war, was er die Chirurgin glauben ließ.
„Herrgottnochmal, wie kannst du jetzt an Tavli denken? Verrate mir lieber, wie wir bis zum 23. nach Dortmund kommen sollen.“
„Gar nicht. Ich sterbe am 21. und möchte vorher noch einmal mit dir Tavli spielen.“
Jetzt war Jürgen nicht sicher, wer hier verrückt war. Er selbst oder Akropolis, der plötzlich bestes Deutsch in ganzen Sätzen sprach?
„Wieso stirbst du?“
„Wenn der Hund mit dem Kopf wackelt, habe ich noch Zeit bis zur nächsten Wintersonnenwende.“
Der Fall war geklärt: Akropolis war verrückt, nicht Jürgen.
„Wer sagt das?“
„Das Orakel von Delphi, das meine Mutter bei meiner Geburt befragte.“
Aha.
Wenn’s weiter nichts war. Akropolis sah trotz seines hohen Alters keineswegs so aus, als solle er in Bälde das Zeitliche segnen. Er war einfach nur durchgedreht. So ähnlich, wie die Typen im Bus. Jürgen versuchte es mit Logik.
„Akropolis, das ist ein Wackeldackel. Es ist sein Job, mit dem Kopf zu wackeln.“
Obwohl Jürgen eine echt gute Vorstellung von diesem Job gab, schüttelte Akropolis den seinen verneinend, also in Richtungen, die ein Wackeldackel nicht beherrschte.
„So hat der Hund gemacht. Also sterbe ich.“
Wenn Logik nicht funktionierte, musste sich Jürgen auf die Verrücktheit des Alten einlassen.
„Wenn du sowieso stirbst, kannst du es mir ja verraten: wer bezahlt deine Flüge hierher?“
Akropolis schob trotzig die Unterlippe vor und schwieg.
„Dann spiele ich auch nicht Tavli mit dir.“
Das zog.
„Tochter. Nicht reich. Jeden Monat kriegt achtzig Euro von mir. Für Tabak brauche ich nur Neun.“
Prompt wurde Akropolis’ Deutsch merklich schlechter. Jürgen reimte sich die Geschichte so zusammen: Akropolis schickte seiner Tochter monatlich 80 Euro. Der Großteil war für ihre Familie und vom Rest sandte sie ihm einmal im Jahr ein Billigflugticket. Also musste er einen Rückflug haben.
Nein, hatte er nicht. Er wollte ja schließlich in Delphi sterben, wo er geboren war. Das Rückflugticket hatte er umgetauscht, das Geld der Familie geschenkt und sich dann für immer verabschiedet. Am Strand sitzend und auf seinen Tod wartend, musste er ohnmächtig geworden sein. Erst beim Arzt war er wieder erwacht, allerdings reichlich benebelt. Verzweifelt sandte Jürgen ein SMS an Schwester Margarethe.
Er spielte Tavli mit der reitenden Leiche bis es dunkel wurde. Es gab keine bezahlbare Pension mehr in Delphi. Die Schere, die sich zwischen Arm und Reich aufgetan hatte, hatte allem Mittelmaß den Garaus gemacht. Derweil Jürgen noch überlegte, wie er Akropolis zur Rückreise bewegen konnte, zogen die Freaks aus dem Magic-Bus an ihnen vorbei.
„Ein Zeichen, ein Zeichen!“ riefen sie und waren so hell begeistert von Akropolis’ Hundegeschichte, dass sie ihm und dem ungläubigen Jürgen sogar eines ihrer Zelte überließen. Vorausgesetzt, die beiden würden sie morgen zum Orakel von Delphi begleiten. Man nächtigte am Strand, mit Blick auf die Tempel und keiner freute sich mehr auf die vorgezogene Beerdigungsfeier als Akropolis.
Als Jürgen erwachte, fühlte er sich wie in Trance. Auch die anderen wankten mehr in Richtung Orakel als sie geradeaus gingen. Einzig Apollo, den Jürgen im Bus noch als kläffende kleine Klobürste tituliert hatte, war putzmunter.
„Folget dem Hunde!“ rief die Esoterikerin aus, die sich in Trance für Pythia hielt und so landeten sie zielsicher am Feta-Stand. Jürgen hoffte, dass eine anständige Käsestulle den Nebel aus seinem Hirn vertreiben würde. Und wahrlich, der griechische Feta machte Jürgen wieder zu dem, der er mal war.
Vermittels seines Smartphones machte er sich über das Orakel kundig. Er las und staunte: durch die Inhalation ethylenhaltiger Gase aus Erdspalten sollte sich schon in alten Zeiten Medium Pythia in Trance versetzt haben. Wie viele Nächte hatte Akropolis am Strand verbracht, wo diese Gase auch der Esoteriker und sein Hirn benebelt hatten? Der Arzt von Kaloskopi hatte die richtige Diagnose gestellt!
Im Tempel führten die Esoteriker samt Akropolis einen solchen Affentanz auf, dass Jürgen sogar Verständnis für Apollo aufbrachte, der vor Angst und Entsetzen drei Kürtel vor den Altar legte. Mitten in dieses Theater hinein klingelte sein Händi. Die Esoteriker erstarrten.
„Klingelingeling, hier kommt der Eiermann“.
Akropolis wurde wütend. Das war seiner Beerdigung nicht würdig. Jürgen zog das Gerät hervor, wobei er die Käsestulle fallen ließ, auf die sich Apollo stürzte. Letzteres machte ihm nicht sonderlich viel aus. Wer wusste schon, ob Gott nicht ein Hund war, falls die Welt wirklich am 21. unterging? Dieses Opfer konnte er zur Sicherheit mal bringen.
Samt des immer noch klingelingelingelnden Händies wurde Jürgen aus dem Tempel gejagt. Es war Sr. Margarethe.
„Jürgen? Wir haben telegrafisch Geld für euren Rückflug überwiesen. Poste restante Delphi. Es müsste noch heute bei euch sein.“
Jürgen wusste, was sie zu dieser edlen Tat veranlasst hatte. Das Maria-Hilf durfte beim Sozialamt nicht auffliegen. Er wusste auch, dass es sinnlos war, den durchgedrehten Akropolis aus dem Kreise seiner Beerdigungsteilnehmer loseisen zu wollen. Sr. Margarethe tobte dergestalt, dass Jürgen auflegte.
War es etwa sein Problem, wenn die Heimaufsicht das Maria-Hilf schließen würde? Man durfte in Altenheimen zwar ungestraft am Essen für die Rentner sparen, aber gewiss nicht für einen Griechen lügen, dass sich die Balken bogen. Diese Story würden ja nicht mal die Leser skurriler Kurzgeschichten glauben – warum also sollte Sozi-Priese das tun? Er riskierte einen Blick in den Tempel.
„Drei Opfer sollt ihr bringen.“ schrie die Esoterikerin, die sich für Pythia hielt und deutete auf den käsefressenden Hund. „Dies war das erste.“
Nickte Apollo wirklich?
Akropolis glotzte so fasziniert auf das haarige kleine Wesen, dass Jürgen dies gern glauben wollte. Das Nicken des Hundes („ein Zeichen, ein Zeichen!“) sollte ihm mehr nützen als der Titel Kläffende Kleine Klobürste, den er ihm völlig zu Unrecht verpasst hatte: die Kürtel lagen immer noch da.
Sie erinnerten Jürgen an seine inkontinenten Alten in Bochum. Wo sollten sie hin, wenn man das Maria-Hilf schloss? Ihm kam eine Idee, die Akropolis’ Familie helfen und dem Maria-Hilf seinen Namen zur Ehre gereichen lassen würde. Zugegeben, sie war reichlich kriminell – allerdings nur für den Fall, dass das Orakel Recht behielt und Akropolis am 21. wirklich adieu sagen würde.
Jürgen schlug das zweite Opfer vor:
„Akropolis, du stirbst in Dortmund. Bis zum Fototermin am 23. halte ich deine Leiche frisch. Wenn alle glauben, dass du noch lebst, kassieren wir weiter vom Sozialamt. Das schicke ich deiner Tochter.“
Diesmal nickte Akropolis. Der Hund nicht, er hätte wohl ein zweites Käsebrötchen bevorzugt.
„Gute Idee.“ sagte Akropolis. „Ich bin dabei. Doch es fehlt noch die dritte Darbringung.“
Apollo knurrte gefährlich, das war nicht die Art von Opfer, die er sich vorgestellt hatte. Schon legten die Esoteriker wieder mit ihren Gesängen los. Pythia aber war erwacht – eine einzige Nacht am Strand bewirkte wohl nur eine Trance minderer Güte.
„Ihr seid doch völlig bekloppt.“ verkündete sie. „Habt ihr nicht gesehen, dass der Hund genickt hat?“
Doch, das hatten alle gesehen. Es war ein Zeichen.
„Das Nicken von unserem Apollo hebt Akropolis’ Geburtsorakel auf.“ erklärte Pythia, die eigentlich Elfriede hieß und ein Geizkragen war. „Ihr fahrt mal schön mit uns im Magic Bus zurück nach Dortmund, wo Akropolis weiterleben und seiner Familie 80 € schicken kann. Die Kohle, die ihr durch den viel billigeren Bus spart, spendet ihr dem Arzt von Kaloskopi. Und schon haben wir ein astreines drittes Opfer.“
Dass zwei Personen mehr im Bus die Fahrt für sie preiswerter werden ließ, verschwieg Elfriede-Pythia tunlichst. Bis auf die Tatsache, dass Jürgen wieder in den Magic Bus steigen musste, klang der Vorschlag vernünftig. Doch wann würde der fahren? Etwa erst am Tag, an dem der Maya-Kalender endete?
„Wieso?“ fragte Pythia-Elfriede. „Eure drei Opfer haben die Welt gerettet. Wir fahren heute. Wir müssen schließlich noch Weihnachtsgeschenke basteln.“