dies war 2015 die Geburt der Idee „AstroStory“, also meine allererste
„Ich sag’s euch: es gibt Seelen, die haben den Schuss nicht gehört!“
Das Geschwätz der Planeten, die mal wieder in ihrem geliebten Tierkreis hockten, verstummte augenblicklich, als Plutos Stimme aus dem Keller dröhnte.
„Da treffe ich so eine, die heute geboren werden soll.
Und? Was willst du werden im nächsten Leben?, frage ich sie.
Ihr glaubt’s nicht, die war total verrückt.
Frauenzentrum, sagt sie.
Hat man sowas schon gehört? Eine Seele, die Frauenzentrum werden will?“
Mond, Uranus und Neptun tuschelten, Merkur kicherte sich eins und der Rest wartete, bis Pluto endlich aus den Tiefen des kollektiven Unbewussten zu ihnen emporstieg und seinen Stammplatz im Skorpion einnahm.
„Frauenzentrum!“ donnerte er noch einmal empört. „Und das heute, hier und jetzt.“
Eifrig notierte Merkur 27.9.1990, Dresden, 20 Uhr.
Aber war der Verein nicht bereits am 7. 4. 90 in einer Kneipe gegründet worden? Ach so: das war als Zeugungsdatum zu werten. Bei einem Menschenwesen wurde das Horoskop auf den Moment berechnet, in dem die Nabelschnur durchtrennt wurde, es seinen ersten autonomen Atemzug tat. Für die Seele eines Frauenzentrums kam dem die Eröffnung gleich.
Man musste Merkur nie bitten, das Protokoll zu führen: das betrachtete er als seine Aufgabe. Wie es ihm dabei gelang, noch mitzureden, sein Wissen weiterzugeben, alles Mögliche zu vernetzen und die Bibliothek zu führen, war allen ein Rätsel – aber er schaffte es. Heute war sein Tag. Er hatte sein Stehpult in der Jungfrau und im 6. Haus aufgebaut und betrachtete das als doppeltes Domizil und somit doppelte Stärke. Also sagte er einfach:
„SOWIESO.“
Pluto warf ihm einen Blick zu, der jede in die Verzweiflung getrieben hätte, wäre da nicht die feinsinnige Venus gewesen.
„Sowieso?“ frug sie kess. „Toller Name.“
Potzblitz! Ausgerechnet sie wagte es, sich Pluto, dem Herrscher der Unterwelt, entgegenzustellen? Auf einmal fiel es ihnen auf: von all‘ den roten, blauen und grünen Fäden, die sie einander zuwarfen, um freundliche oder angespannte Beziehungen aufzunehmen, hatte Venus keinen einzigen aufgefangen. Sie war auf sich gestellt und schien es zu genießen.
„Für ein Frauenzentrum übernehme ich sofort den Horoskopvorsitz.“ strahlte sie. „Die dürfen mein Zeichen als ihres betrachen.“
Sie sah sich in der Runde um, amüsierte sich prächtig über das große Gedrängel auf den kargen Steinbockplätzen und wies Pluto frech in seine Schranken.
„Du stehst als einziger in einem Wasserzeichen. Also lass uns mit deinen Gefühlsausbrüchen in Ruhe.“
„Frolleinchen!!!“ donnerte er sie bedrohlich an.
„Frolleinchen war gestern. Jetzt gibt’s in Dresden ein Frauenzentrum. Nur, weil du dich im Skorpion doppelt stark fühlst, musst du hier nicht den Macker markieren. Aber ich habe eine feine Aufgabe für dich. Du sitzt so praktisch am DC, also dem Punkt, an dem unser Frauenzentrum in die Welt geht, den anderen begegnet. Erschrecke die doch ein bisschen. Gefürchtet bist du sowieso. Wenn sie dich sehen, dürfen sie gern denken, dass du jede Leiche in ihrem Keller kennst. Und dass du sie ausgräbst, sobald jemand unserer Sowieso an die Wäsche will.“
„Du meinst, ich darf die Typen, die unserer Seele quer kommen, daran erinnern, dass Abgründe ihre Gründe sind?“ Pluto fühlte sich gefordert.
„Sowieso.“ lächelte Venus einfach und wandte sich dem Punkt zu, den man AC nennt. Was nun von ascendere wie aufsteigen kommt und die Position bestimmt, die zum Zeitpunkt der Sowieso-Eröffnung im Osten aufging.
„Zwölf Grad vierundvierzig Minuten Stier.“ verkündete Merkur fix.
„Das passt bestens zu einem Frauenzentrum. Schließlich bin ich, Venus, die Herrscherin des Stiers und bestimme somit das Image unserer Sowieso, die Art und Weise, wie andere sie wahrnehmen. Ich bin die verzauberte Anlage, die es zu lösen gilt.“
Welche Freude! Im Stier hatte man es meistens gut, denn dieses Zeichen wusste für sich zu sorgen. Was die Stier-Venus einmal hatte, wurde gehegt, gepflegt und festgehalten – wie zum Beispiel das schöne Haus in der Angelikastraße.
„Meine Lieben, es geht um mehr. Ihr wisst, dass das Stierzeichen von großem Wertebewusstsein geprägt ist. Welchen Stellenwert haben Frauen heute? Wir schreiben das Jahr 1990, in dem es für unser Geschlecht allerhand zu klären gibt. Was wird sich ändern für Frauen nach dem, was als Revolte begann und demnächst nur noch Wende genannt wird? Was wollen wir behalten? Was müssen wir mit Zähnen und Klauen verteidigen und was neu erobern? Guckt euch das Leben der Frauen im Westen an und ihr wisst, worum es geht.“
„Uaaah!“ hallte es aus dem steinböckischen Gebirge. Das konnte nur der alte Gevatter Saturn sein. Seine Erfahrung sagte ihm, dass die größten Fehler bereits gedacht waren. Bevor er aber mit seinen mahnenden Gruselgeschichten loslegen konnte, war Venus zur Stelle:
„Heute wird erstmal gefeiert. Dresdens Sowieso ist geboren und eröffnet. Diese Frauen wissen um ihren Wert. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass ohne sie gar nichts geht und sie haben ein Selbstbewusstsein, von dem die Mädels im Westen nur träumen können.“
„Gleich kommt sie mir mit Feminismus.“ ließ sich Mars muskelspielend vernehmen.
„Sowieso!“ lachte die Venus. „Ob du es glaubst oder nicht, dich werde ich voll dafür einspannen.“
„Den?“ Neptun staunte den Planeten an, der so gern den starken August gab.
„Genau den.“ Venus erklärte ihm den Fall. „Mars im ersten Haus ist volle Power. Mars im Zwilling kann dich über den Haufen labern. Wenn wir unseren Power-Mars aber richtig trainieren, kann er mit seinen Zwillingskenntnissen für kraftvolle Öffentlichkeitsarbeit sorgen.“
„Super!“ Jupiter zerrte an der blauen Sextil-Leine, die ihn mit Mars verband. „Dich werde ich lehren, sinnvolle Texte zu schreiben. Mit meiner Hilfe publizierst du sowas von expansiv, dass in Kürze jede in Dresden weiß, dass es Sowieso gibt.“
Da nun für das Sowieso-Image bestens gesorgt war, warf die Venus der Sonne ein Lachen zu.
„Frau Regisseurin, haben Sie schon Ideen, wie das alles in Szene gesetzt werden soll?“
Die Sonne nestelte an ihren Strahlen. Wirklich wohl fühlte sie sich im Zeichen Waage nicht, welches obendrein ins 6. Haus eingeschlossen war. Eine echte Sonne war gern Königin, Egoistin, die Chefin-vons-Ganze. Das Waagezeichen jedoch interessierte sich permanent für die anderen, war auf das Du konzentriert und stellte sein Ego hintenan.
„Tja, irgendwie und sowieso…“ sie ließ sich anmerken, dass sie überzeugt werden wollte.
„Wie wäre es mit Kunst und Kultur?“ schlug Venus ihr vor.
„Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.“ murmelte die Sonne in ihr Geflecht.
Schwupp, da zog Uranus fordernd an seinem roten Quadratfaden.
„Arbeiten ist genau das, was du im 6. Haus tun sollst. Stell dich nicht so an. Frau-ens-kind, die Waage ist das beste Zeichen für Kunst, Film, Kulturtage. Suche dir zwei Mädels, die du zu Filmfestivals schicken kannst.“
Da Film mit Licht zu tun hatte, dachte er sich, dass das der Sonne gefallen müsse.
„Es gibt ein Frauenfilmfestival.“ grinste der dicke Jupiter. „In Dortmund.“
Jupiter verreiste furchtbar gern und machte der Sonne den Mund wässrig. Sie warf den blauen Faden zu ihm zurück.
„Du bist der Spezialist für Reisen. Das kriegst du schon organisiert. Merkur, schreib auf: Tagesordnungspunkt Aufgabenverteilung. 1.) Jupiter wird Mars bei der Sinnsuche i.S. Öffentlichkeitsarbeit unterstützen und er ist unser Reisebüro. 2.) Plutos Aufgabe besteht einerseits darin, unsere Widersacher abzuschrecken.“
Venus schmunzelte in sich hinein, als ihr auffiel, dass die Sonne bereits bei wir und unser war, dass sie sich als Regisseurin im Hause von Arbeit und Gesundheit sonnte.
„Und andererseits?“ erkundigte sich Pluto.
„Abwarten. Der Blick in die Zukunft ist für die feiernden Frauen da unten alles andere als rosig. Denn der Westen legt Siegermentalität an den Tag. Das geht immer damit einher, dass Frauen in die Abhängigkeit zurückgedrängt werden sollen. Man wird sie vom Arbeitsmarkt verdrängen.“
Das war dem fleißigen Steinbock-Mond nahezu unvorstellbar.
„Wie soll eine Frau ihren eigenen Bedürfnissen folgen, wenn sie nicht mehr für sich selbst sorgen kann?“
„Den Gürtel enger schnallen und mal Linsensuppe aus der Dose essen.“ äffte Saturn eine Dame namens Angela M. nach, um sofort in den Jargon von Claudia N. zu verfallen: „Was schwierig wird, wenn sie es mit Abtreibung so halten wie im Westen. Und dafür werde ich sorgen.“
Der Mond staunte immer noch ungläubig, doch Venus wusste, wen Saturn meinte: die beiden peinlichsten weiblichen Ost-Exporte, die nichts als Karriere und das Ende der Solidarität auf ihre Fahnen geschrieben hatten.
„Ihr versteht langsam, warum Sowieso gebraucht wird? Ihr versteht, warum wer von uns auf welchem Platz sitzt?“ eroberte sich die Sonne das Wort zurück. „Die Verdrängung vom Arbeitsmarkt wird vieles nach sich ziehen, was das Bewusstsein der Frauen für ihren Wert in der Gesellschaft angeht. Was hat Arbeitslosigkeit denn bis 1989 in Dresden bedeutet?“
„Du meinst, viele Frauen werden sich wie Asoziale fühlen?“ Saturn war das sarkastische Lachen vergangen. Entsetzt rasselte er mit seinen Ringen aus vereistem Gestein und blickte auf Pluto.
„Pluto im Haus der Begegnung. Das nenne ich eine feine Therapeuten-Konstellation.“
„Mit Tiefgang?“ dröhnte es aus Plutos Gewölben. Oh! Das war genau sein Ding!
„Fein. Du hast deine zweite Aufgabe verstanden. Wir brauchen Beraterinnen, die wie Pluto jede Leiche aus dem Keller zerren und obendrein heilsam wirken können. Im Verein mit Merkur,“ – die Sonne deutete auf die blaue Sextil-Leine zwischen den beiden – „kriegst du das gut hin. Merkur, du sorgst für Bildung, Kommunikation, Vernetzung. Nun zu dir, Mond: auf dem Ernährungsbereich werden wir demnächst mit Pizza, Mäckdoof und seltsamer Fertigware verfettet, kriegen aber medial die dürrsten Hungerhaken als Vorbilder hingestellt.“
„Du sprichst von Essstörungen?“
Der Mond liebte es, zu nähren und genährt zu werden. Er konnte Kind und Mutter zugleich sein. Was sich in der Kargheit eines steinböckischen Gebirges als ausgesprochen schwierig erwies. Immer wieder musste er sich dort Ressourcen anlegen, sparsam damit umgehen, derweil er von schmackhaften Blümchen träumte.
„Damit kenne ich mich bestens aus. Unter dem Geröll habe ich jede Menge Programme für unerfüllte und unerfüllbare Wünsche, die nicht nur das Futter betreffen. So eine Tussi wie Klümchens Heidi soll sich besser nicht mit mir anlegen. Der zeige ich, was eine Harke ist.“
Die Sonne sah Merkur an.
„Alles notiert?“
„Alles auf dem Zettel.“
Sie hatte ein wenig Zeit gebraucht, doch nun war die Waage-Sonne in ihrem Element. Sie konnte dirigieren, delegieren und vor allem: sie konnte ihr Gefühl, gebraucht zu werden, aufpolieren.
Giorgione, Schlafende Venus, um 1508/10, Gemäldegalerie Dresden
Entspannt lehnte Venus sich zurück. Ein großes und ein kleines Entspannungsdreieck bildeten eine prima Hängematte, aus der heraus sie nach oben sah und den Mond suchte. Was mochten Sowiesos innere Bedürfnisse sein, für die er stand?
Sie blickte in ein glitzerndes Stellium aus Uranus, Mond, Neptun und Saturn. Wie kamen die Vier da oben bloß klar im Steinbockzeichen?
Neptun hatte sich dem Mond quasi auf den Schoß gesetzt. Na klar, er liebte es, die Dinge zu verstecken, verschleiern, vernebeln. Er schuf nur zu gern Illusionen, manchmal auch Intrigen. Linkerhand hatte Uranus, der alte Rebell, Platz genommen.
„In der DDR,“ begann er seine aufrührerische Rede, „da waren Lesben ja sowas wie der Planet Uranus. Also irgendwo ganz weit draußen. Erinnert sich eine an das erste Forum für Homosexualität, anno 1976? Naa, wird’s bald? Über wen wurde es organisiert? Telepathisch richtig, liebe Venus: die Urania! (das war die Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse in der DDR) Genug des Geschichtsunterrichts. Jetzt wird es Zeit, unsere Liebe, unsere Lebensweise allen zugänglich zu machen. Dieses Frauenzentrum ist UNSER!“
„Sowieso.“ lächelte Venus in sich hinein.
Sie ahnte, dass das Probleme mit Neptun geben könnte. So all- und friedliebend der auch grundsätzlich war: wenn Neptun seine Tarnkappe ablegen sollte, wurde er ösig. Gern behauptete er auch, dass andere sich nur als Lesben tarnten, um beizeiten zu Verräterinnen zu werden. Wenn dann Saturn noch mitmischte, gab es Stress vom Feinsten: wer waren die Richtigen, wer tat nur so als ob? Der alte Rechthaber in Sachen Korrektheit würde beizeiten noch einen Zirkel für Andersfähige Frauen und Lesben gründen.
Sie fragte sich, wie der Mond die eigenen, inneren Bedürfnisse erkennen und erfüllen konnte. Indem er als Steinbock-Mond ab und zu in der Stille des Elbsandsteingebirges klettern ging? Vielleicht sollte er dort mit Neptun meditieren und in Dresden mit Uranus rebellieren? Auf einmal fiel es der Venus wie Schuppen von den Augen: Saturn saß nicht umsonst in seinem eigenen Haus und Zeichen. Mit dieser grandiosen Kraft konnte es ihm gelingen, manchen Streit zu schlichten, indem er an die gesellschaftliche Notwendigkeit erinnerte, ans Pflichtgefühl appellierte…
Die Venus schaukelte in ihrer Hängematte und dachte sich, dass ihre Sowieso-Seele bestens geerdet war. Fünf Planeten, ein Mond, AC und MC in Erdzeichen – das bedeutete Stabilität, Lebensklugheit, das Lernen aus Erfahrungen. Damit konnte ihre Lieblingsseele uralt werden.
Sie lächelte Pluto zu, er grinste zurück.
„Wenn du mich zum 25. Geburtstag einlädst, erzähle ich dir, wie viele Widersacher ich schon in die Flucht geschlagen habe.“
„Na sowieso.“
Mit ganz herzlichen Glückwünschen aus Dortmund, im August 2015
von Astrid Petermeier
(veröffentlicht im Katalog zur Ausstellung zum 25.-jährigen Bestehen von Sowieso)