Nachdem wir im Bus quasi an Merkur vorbeigerauscht sind, heißt es nun im Zeichen des Krebses: Fertigmachen zur Mondlandung!
Wir spielen jetzt mal Apollo ’15 im Landeanflug. Es ist Sommer, es ist heiß und wir haben Durst. Apollo steuert Richtung Dortmunder Nordstadt, biegt am Nordausgang des Bahnhofs scharf links ab, rast die Grüne Straße runter und kriegt gerade noch die Kurve in die Baumstraße.
Aah, gelandet! Ran an den Thresen und für ’ne kleine Marie ein Frischgezapftes genießen. Natürlich kann’s passieren, dass der Mond so verschlossen ist, wie bei meinem Versuch, ihn zu entern. Macht nix: Nordstadtkneipen wie diese finden sich an fast jeder Ecke.
Ihr hattet euch unter dem astrologischen Prinzip Mond etwas anderes vorgestellt? Nun, es sei euch unbenommen, im Fredenbaumpark bei Vollmond Walla-Walla-Kreistänze aufzuführen. Denn annodazumal hieß unser Nordstadtpark noch LUNAPARK. Für mich aber machen die vielen kleinen Nordstadtkneipen mondisch betrachtet enorm was her.
In der psychologischen Astrologie steht der Mond sowohl für die Bedürfnisse/Bedürftigkeit als auch für die Erfüllung derselben, weil der Mond so gern Nährerin spielt.
Das alte Motto „Durst ist schlimmer als Heimweh“ erfüllte nach ihrer Schicht die Bergleute. Man zog sich das schützende Arschleder von selbigem und zog erstmal in die gleichnamige Kneipe (Schillerstraße 52). Wenn das Heimweh schlimmer als der Durst wird, bieten sich das portugiesische Café Alfredo mit seiner sehr originellen Einrichtung (Schleswiger Straße 12), die Casa Italia (Bergmannstraße), das Romanesca (Nordstraße 16) und ungezählte andere Kneipen an.
Bei uns in der Nordstadt kann man sich locker von Dortmunder Bieren über Efes bis zum Sagres durchprobieren, vom Ayran zum Mokka oder bei Janni und Elvira im Scheffelchen (Scheffelstraße 13) einfach mal OXI sagen, wenn’s genug ist. Denn am Thresen heißt es abwinken statt nachbestellen. Hätten die Griechen uns nicht vor wenigen Wochen wissen lassen, dass oxi Nein bedeutet, wüssten in dieser Kneipe wohl nur die Wirtsleute, was gemeint ist. Denn das Scheffelchen nimmt sich eher deutsch aus, was die Gäste und den Sparkasten angeht, wartet jedoch mit einer Musikbox auf, die das Rockerherz ebenso wie das des Schmalzdackels erfreut.
Der Mond, so höre ich schon die astrologisch Versierten sagen, steht aber doch für das weibliche Prinzip und Kneipen sind meist Männersache. Meine Lieben, da habt ihr wohl die Wirtinnen nicht auf dem Zettel. Nach wie vor sind sie die Sozialarbeiterinnen des Viertels, die sich die Nöte ihrer Gäste anhören und diese auch mal nach Hause schickten, wenn gleich am Ersten der Lohn zu arg geschmälert wurde. Letzteres entfällt heutzutage mangels (ausreichendem) Monatslohn. Mit dem Ansteigen der Arbeitslosigkeit und vor allem dem Rauchverbot hat das große Kneipensterben eingesetzt, sodass die verbliebenen Wirtinnen zusehen müssen, wie sie auf ihren Schnitt kommen. Not macht erfinderisch und spielerisch: aus dem alten Ritter-Eck wurde das Vereinsheim des Dart-Clubs Die Gläubigen.
Derweil der Alkoholismus auf der einen Seite des Thresens zunimmt, leidet manch‘ eine Wirtin unter dem großen Würfeltrauma, denn es ist hart verdientes Brot, wenn man von morgens bis abends schocken muss. Wobei sich die Knobelrunden, an deren Ende der Verlierer eine Runde spendieren muss, enorm in die Länge ziehen, weil die Gäste immer wieder zum Rauchen vor die Tür müssen.
Nach wie vor geraucht werden darf nur noch im Café Berta an der Nord-/Ecke Heroldstraße. Hier handelt es sich offiziell eben nicht um eine Kneipe. Der Alkohol-Konsumraum, in den die Gäste Bier oder Wein mitbringen können, wurde bis 2013 mit EU-Fördermitteln finanziert. Eine Sozialarbeiterin berät und hilft auf Wunsch.
„…bevor die Einrichtung im Januar 2012 eröffnete, hatte es es vielfältige Proteste gegeben. Das hat sich geändert. Keine Beschwerden, kaum Kritik. Lediglich eine Beschwerde hat es im „Kummerkasten“ am Eingang der Einrichtung gegeben. Selbst die SPD hat scheinbar ihren Frieden mit der Einrichtung gemacht, die gegen ihren Willen eingerichtet wurde. Mittlerweile haben sich alle Parteien vor Ort über die Arbeit informiert – als letzte Fraktion kamen übrigens auch die Sozialdemokraten. (…) Die Gäste im Café sind bunt gemischt. Es kämen bei weitem nicht nur alkoholkranke Menschen. Im Gegenteil: Mehrere Gruppen aus der Nachbarschaft haben das Café Berta als Treffpunkt auserkoren. Der Grund: Weil die Einrichtung keine Gaststätte im klassischen Sinn ist, gilt hier auch kein Rauchverbot. Daher haben eine Skat-, eine Yahtzee- und eine Klammerrunde ihre Treffen hierher verlegt. Auch wenn sie ihre (alkoholischen) Getränke selbst mitbringen müssen. Denn im Café Berta werden nur nicht-alkoholische Getränke und kleine Snacks ausgegeben. Gastronomisch wird die Einrichtung vom Stehcafé Kaffeepott, der Kana-Suppenküche und der Dortmunder Tafel unterstützt.“ (zitiert aus www.nordstadtblogger.de)
Mit Wegfall der EU-Förderung drohte dennoch die Schließung. Bevor dieser Saufraum subventioniert werde, so ein Ratsmitglied, gebe er das Geld lieber für Nordstadtkinder aus. Man hat ja schon immer gern Not gegen Elend ausgespielt.
News vom 21.2.2015 – Dortmund (idr). Der „Trinkraum“ Café Berta in der Dortmunder Nordstadt bleibt bestehen. Der Rat der Stadt entschied in seiner gestrigen Sitzung gegen den Vorschlag der Verwaltung, das Projekt aus Kostengründen zu beenden.
Na Halleluja-sog-i! Es ist weder für die Anwohnerinnen noch für die Arbeitsgruppe Alkohol ein Genuss, wenn sie sich im großen Pulk am Mäuerchen beim Kiosk treffen muss.
Denn der astrologische Mond ist nicht gern allein. Er hat’s gern gemütlich, möchte sich geborgen fühlen, ist ein Sinnbild für Begriffe wie Herkunft und Heimat. Wen wundert’s also, dass die altdeutschen Nordstadtkneipen mit buntverglasten Fenstern für Schummrigkeit sorgen und die türkischen Cafés mit Folien vor den Fenstern den Einblick verwehren? Weder der katholische noch der muslimische Papi möchte beim Bier- oder Rakikippen erwischt werden.
Als ich selbst noch Kellnerin war, konnte ich die zyklisch-lunare Lebensweise beobachten: bei Vollmond (dieser Juli bietet gleich zwei davon! am 2. und 31.7.2015) passiert entweder überhaupt nichts = die Wirtinnen können sich vom Würfeltrauma erholen oder es kommen ALLE und zwar gleichzeitig. Aufgrund seiner schnellen Beweglichkeit (der Mond braucht 28 Tage für eine Runde durch den Tierkreis, Pluto vergleichsweise 248 Jahre), seiner für uns spürbaren Nähe sowie der Zu- und Abnahme des Nachtlichts, ordnet man dem Mond auch eine gewisse Launenhaftigkeit zu.
In den hiesigen Kneipen habe ich von größter Saumseligkeit bis zur biestigen Keiferei schon alles erlebt. Eine komplette Thresenbelegschaft, die feuerzeugschwenkend Nordstadtlieder intoniert, „weil im Dortmunder Norden das Leben blüht, und der Ali singt froh sein Borussialied“ erfreute mein Herz bei Manni und Regina. Der überdurchschnittlich hohe Ausländeranteil der Nordstadt bietet in deutschen Kneipen jedoch auch jede Menge Stoff, vorzüglich zu lästern und zu meckern, wenn man nicht gerade zum 100. Male „Ein Stern, der deinen Namen trägt“ aus der Musikbox und der Kneipentür dröhnen lässt. Dies fand ein witziges Ende, als die türkische Fußballmannschaft 2008 die Schweiz aus dem EM-Turnier schoss. Etwa 20 türkische Jugendliche hingen ihre rote Fahne mit Stern und Halbmond türfüllend vor den Eingang der Palette (Alsenstraße) und sangen: „Ein Stern, der unser’n Namen trägt.“
Wohin gehe ich zu später Nacht, wenn ich fern meiner Heimat bin und die Hitzewellen dieses Sommers Heimweh bereiten? Im Restaurant Portugal auf der Born-/Ecke Heroldstraße lässt es sich herrrlich unter Arkaden sitzen, wo immer ein angenehmes Lüftchen weht und der Wirt auch Wenigtrinker nicht verjagt. Das Heimweh wird die Afrikaner dort wohl nicht verlassen, doch wenigstens klingt die Sprache ein wenig nach Angola oder Mozambique.
Wer sich nun fragt, warum ich die gesammelten Szenekneipen ausgelassen habe, soll auch Antwort erhalten: Wer immer nur tut, was er schon kennt, wird immer nur bleiben, was er schon ist.
Es sei aber erwähnt, dass ich schwer um unseren BASS trauere, der uns 9.5.2015 verlassen hat.
„Das Bass hatte am 09.05.2015 zum letzten mal geöffnet.
Auf diesem Wege möchten wir uns ganz herzlich für die fast 5-jährige Treue bedanken und allen Gästen von Herzen alles Liebe und Gute wünschen.“
(aus der homepage des Bass)
30. Januar 2019 um 12:06 Uhr
Hi ich suche das Lied weil in Dortmunder Norden das Leben blüht kennt jemand das Lied dann schickt mir bitte das Lied mit Freundlichen Grüßen Uwe Harnischfeger