Ich mag es, wenn Kunst sich um Wahrnehmung dreht. Weil ich in einer Welt lebe, in der ich permanent mit Bildern zugeschüttet werde. Ich möchte mir bewusst darüber werden, wie ich die Bilderflut wahrnehme, was sich als wahr in mir festsetzt, was mich warum ins Denken bringt, wie ich überhaupt hinschaue.
PASSING lautet der Titel einer kleinen, aber sehr feinen Ausstellung des Künstlerpaares Simone Prothmann und Siegfried Krüger in der Städtischen Galerie Sohle 1 in Bergkamen (-Oberaden, Jahnstr. 31/Museumsplatz). Als ich von der Künstlerführung am Samstag, den 10.2. um 17 Uhr erfahre, kommt mir der Termin äußerst ungewöhnlich vor. Doch trotz BVB-Spiel finden sich etwa 50 Leute ein, ich bin echt beeindruckt. Die Ausstellung läuft nur noch bis zum 18. 2. 18 – ich wünsche euch, dass ihr Zeit findet, denn ich habe mich schon lange nicht mehr so bereichert gefühlt.
Da ich etwas früher da bin, kann ich mir in aller Ruhe die großformatigen, schwarzweißen Portraitfotos im ersten Raum ansehen.
„Komisch, die kennste doch.“ lautet mein allererster Impuls angesichts dieser Bilder. Kontrolle der Titel, auf denen die Vornamen der Portraitierten zu lesen sind. Nee, ich kenne nicht einen von ihnen.
Das Schwarzweiße ist so extrem genutzt wie die Nähe zum Gesicht. Eine Hälfte verschwindet fast im Dunkel, die andere bildet in großer Intensität ab: keine Pore bleibt verborgen. Es sind keine jungen Leute, ihren Gesichtern ist gelebtes Leben anzusehen. Das macht sie sympathisch – mir jedenfalls. Obwohl sie in keiner Weise versuchen, mich für sich oder ihre Befindlichkeit einzunehmen. Sie lächeln nicht, sie gucken nicht böse, sie schauen einfach nur direkt in die Kamera.
Ich nehme zwei Gefühle in mir wahr: Vertrautheit und Sympathie.
Da es Fotos in einer Ausstellung sind, nehmen wir uns das Recht und die Ausdauer, diese Menschen lange anzuschauen. Stünden sie uns als Personen gegenüber, wären wir bei so intensivem Anschauen längst in ein Gespräch geraten – wir lachen, als Siegfried Krüger dies erzählt. Ich frage mich, ob ich das je hingekriegt habe, jemandem so lange so direkt ins Gesicht zu sehen, wie den Menschen auf diesen Fotos. Das traue ich mich nur, weil es eben ein BILD ist. Ein Abbild. Ähnlich denen, die täglich tausendfach an mir vorbeirauschen und die ich nur en passant, im Vorübergehen wahrnehme. Die mich nerven, weil sie etwas von mir wollen mit ihrem Lächeln, Winken, Grinsen.
Ha, angekommen: die Personen auf diesen Bildern scheinen mir vertraut, weil sie durch die Aufnahmetechnik ein wenig von ihrem gelebten Leben preisgeben. Sie sind mir sympathisch, weil sie die Betrachtung zulassen, ohne mich in etwas verwickeln zu wollen.
Das Meer rauscht auf mich zu – in einem Film im oberen Ausstellungssaal. In Farbe, im Winter, nach einer Sturmnacht, wie ich bei der Führung erfahre. Eine ganze große Wand füllt dieser Film in Originalgeschwindigkeit. Meine Wohlfühlwand, hier könnte ich stundenlang sitzen und auf die Wellenspiele sehen.
Gleich daneben gibt es denselben Film noch einmal, allerdings etwas verlangsamt. Welche Kraft das Wasser nun gewinnt! Wie eine Macht rollt es auf mich zu, wirkt momentweise bedrohlich.
Und noch einmal derselbe Film, noch langsamer. Fast halte ich den dritten Film für ein Standbild. Doch er ist bewegt, ich kann mit Zeit und Ruhe wahrnehmen, wie die Wellen sich aufbauen, gischtig überschlagen, auflösen. Danach kommt wirklich ein Standbild aus dem Film, das nicht mehr wie ein Lichtbild, sondern wie ein Aquarell wirkt. Licht, das Wasser bleibt. Seltsam, dass die Kraft von Wasser stärker erscheint, wenn die Bewegung langsamer wird. Jetzt fehlt nur noch eine, die in der Ruhe liegt die Kraft sagt.
In einer Welt, in der überall Dabeisein alles ist, muss sich die Geschwindigkeit zur Hektik steigern, in der wir uns selbst kaum noch wahrnehmen. Film- und Foto-Dokumentationen werden für Wirklichkeit gehalten – ihre unterschwellige Botschaft sickert als Wahrheit in uns ein. Ein und denselben Film mehrfach langsamer abzuspulen, ist eine erkennbare Finte. Die wir immer mal wieder brauchen, um zu erfahren, was wir wissen: dass zum Beispiel Wasser von immenser Macht ist, dass die Langsamheit zur Wahrnehmung des Wahrnehmens führt.
16. Februar 2018 um 17:41 Uhr
Thank you, sweet girl!
12. Februar 2018 um 21:22 Uhr
Ja – kann ich nur sagen. Ich war in der Ausstellung „Passing“und fühle mich bei der Beschreibung von Astrid Petermeier wieder vor Ort. Sie trifft die richtigen Worte.
Dies ist eine Ausstellung mit Arbeiten von hoher Qualität. Wer sie noch nicht gesehen hat sollte das Zeitfenster nutzen. Auf Simone Prothmann und Siegfried Krüger ist Verlass, sie zeigen immer Qualität.