Im Folgenden werden die im Roman besprochenen Bilder, die ich nicht alle abbilden konnte, mit den entsprechenden Textstellen vorgestellt. Viel Spaß, ich hoffe, es macht neugierig….
S. 19/20 Robbert Ewers: Anagramm I, 1998/99, im Buch abgebildet:
„Ihre Kollegin zum Beispiel, die hält Image doch für das, was sie hermacht, was die anderen von ihr halten sollen.“
provozierte Männeken den armen Arndt, als ich endlich zu der Gruppe zurückkehrte.
Der fühlte sich genötigt, zu einem Zweiteiler zu blicken, um die Wogen zu glätten. Der Einfachheit halber nickte er. Mir schwante, dass die wirklich sehr unauffällige Hängung von Männekens Werken auf sein Konto ging.
„Image kommt von Imaginatio, der Vorstellungskraft.“ dozierte Männeken weiter. „Bezogen auf ein Bildwerk ist das Magie. Eine Magie, die jedem von uns, allen Menschen innewohnt.“
Arndt beschäftigte viel mehr der Inhalt von Lisas Dekolletee. Der hatte ja schließlich ebenfalls mit Schrift und Magie zu tun.
„So gesehen, befinde ich mich mit meinen Schriftzeichen in der Tradition eines Josef Beuys.“ vernahm er wieder Männekens dröhnende Stimme. „In jedem Menschen steckt ein Künstler. Verstehst du?“
Empfand Lisa Mitleid mit Arndt? Oder sah sie die Chance gekommen, dem jungen Mann aus dem Art-Consulting-Team ebenfalls Ankaufsempfehlungen für die Bank zu geben? Sie stieß mit einem grundlosen Kichern ihr Sektglas an das seine.
„Wenn ich meine Bildwerke einzig aus dem Kolorit, aus Buchstaben, die Worte bilden, zusammensetze, muss der Betrachter seine Vorstellungskraft aktivieren und daraus neue Bilder in seinem Kopf entstehen lassen. Es ist ein Zauber, eine Magie, mit der er selbst zum Künstler wird und so das Bild hinter dieser Oberfläche erschafft.“
Hätte Doppelkorn seiner Gattin Dorle jetzt mal locker-flockig dieses Werk gekauft, wäre wohl alles ganz anders gekommen. Doch der alte Kunstbanause sah in dem Preis nur faulen Zauber und nahm die Gelegenheit wahr, seinen Arm haltgebend, doch keineswegs zärtlich um die Schultern der Gattin zu legen.
Arndt riss seine Augen aus Lisas Ausschnitt und betrachtete Männekens Anagramm.
„Mir ist bis jetzt noch nie aufgefallen, dass die Buchstaben für IMAGE und MAGIE dieselben sind.“ sagte er matt.
S. 36: Unbekannter Garagen-Künstler mit Zutat von Männeken (nicht im Roman abgebildet)
Mit einem Messer im Rücken gehen wir noch lange nicht nach Hause. Das Spiel ist verloren und vorbei, die Nebenans haben sich längst in Hennes‘ Kneipe oder ihre Betten getrollt. Nur wir sitzen noch im Hof und lästern mal wieder über die doofen Schalker und ihre Turnhalle.
„Als ich letztens in Wanne-Eickel war und nach einer Pommesbude suchte, da fiel mir auf, wie tot die Hose auf Schalker Gebiet ist.“
Unsere kleine Lisa ist ja ursprünglich aus Wiesbaden, also der hessischen Hauptstadt. Hat sich aber ganz flott hier eingelebt und erkundet das Ruhrgebiet in groß angelegten Streifzügen über unsere schön gemachten Halden. Wovon sie gerade erzählt, das muss wohl ihr Ausflug zur Halde Pluto in Wanne gewesen sein.
„Mein Magen war so leer wie die Eickeler Hauptstraße. Endlich sehe ich eine Pommesbude: Christel’s Steakstübchen mit Apostroph.“
„Da kannst du mal sehen, wie weit die auf Schalke mit der Bildung sind. Apostroph, lächerlich.“ freut sich Männeken.
„Obendrein geschlossen, also tot, leer, dichtgemacht. Keine drei Ecken weiter komme ich an ein Garagentor, auf das nicht nur riesig S04, sondern auch deren Stadion so schief gepinselt ist, als gäbe es keine Perspektive.“
„Es gibt keine Perspektive.“ Rashid spricht so ernst, dass wir ihm vehement widersprechen müssen. Sind wir hier zum BVB-Spiel oder bei denen ohne Schale zusammengekommen? Er bemüht sein Vokabelheft.
„Verkimmelt ist verkimmelt.“ erklärt er. „Glaubt ihr etwa, dass man sich in Gelsenkirchen nicht gefreut hätte, wenn wir die Großkopferten aus Bayern geschruppt hätten?“
Wir könnten stolz auf unseren Rashid sein. Er ist bestimmt der Einzige vom Fanclub Bagdad Süd, der die Bayern als Großkopferte kennt. Aber was die Freude der Schlacker angeht, da sind Männeken und ich uns nicht so sicher.
„Ich möchte mal wissen, woraus das Ruhrgebiet eine Perspektive ziehen will, wenn von jedem Minarett gegen das andere gepöbelt wird statt zusammenzuhalten.“
„Kirchturm.“ verbessert diesmal Lisa. „Du meinst die hiesige Kirchturmpolitik.“
Ich finde Minarett nicht unpassend. Erstens hat bei uns gegenüber mal wieder so ein „Islamischer Kulturzentrum“ eröffnet. Die hätten uns ruhig fragen können, ob das teure Schild richtig beschriftet ist. Und zweitens sind auch Selcuk und Metin und Hakan und Emine mit ihrer kleinen Yasemin hier im Hof in schwarz-gelb angetreten. Nur Haluk, der Sohn vom Metin, macht uns königsblaue Schande. Das ist die Pubertät und das Beste daran soll ja sein, dass sie vorbeigeht.
So oder so, wir sind total bedröppelt.
S. 46: Jan Steen: Streit beim Kartenspiel, 1664/65 (nicht im Roman abgebildet)
„Das ist es ja. Wir sind keine Bankräuber! Deshalb gehen wir völlig anders an die Sache ran. Erstens: wir tauchen gar nicht auf. Wir müssen anonym bleiben.“
„Höhö, das will der Bankräuber auch.“ lacht Männeken.
„Zweitens: wir liefern Werke ab, die jedem kleinen Ganneff klar machen, worum es geht: dass die Welt auf Kultur verzichten muss, wenn es nur noch um Aktien, Rendite, Gewinne geht.“
Prompt fängt Lisa wieder mit ihrer italienischen Kunst an. Italien wäre ja schließlich die Wiege der europäischen Kultur. Deshalb wolle sie ein italienisches berühmtes Kunstwerk einreichen.
„Wie wäre es mit Michelangelos David?“ grinst Männeken. „Bei der Vorstellung, wie du den Riesen in eine Bank geschleppt kriegst, liege ich jetzt schon flach.“
„Ach ja? Dann würde ich für dich eine niederländische Genre-Szene aus dem 17. Jahrhundert vorschlagen, am besten eine Kneipenschlägerei von Jan Steen. Geh doch zurück in dein Clarissen-Eck und studiere Säufer-Gesichter. Es war hier nämlich ohne dich so schön ruhig.“
S. 47/48: Michelangelo Merisi da Caravaggio: Madonna dei Palafrenieri, 1605-06 (nicht im Roman abgebildet)
Schwuppdiwupp, Kartoffelsupp, hat sich Magdalena schon wieder ihr Klemmbrett geschnappt. Lisa mault. Sie sei im Kopf bei Michelangelo und zwar bei einem Merisi da Caravaggio. Der hätte das Bild einer Madonna gemalt, die ihrem Jesuskind beibringt, wie man eine Schlange zertritt. Sie blättert in Rashids Büchern nach einer Abbildung. Es wäre schön, wenn Lisa mal einer beibrächte, wie man einen gepflegten Bankraub plant, denke ich stikkum bei mir. Dieses Durcheinander geht mir auf die Nüsse.
„Männeken?“
Magdalena klingt so streng und so genervt, dass der Angesprochene brav antwortet.
„Was kost‘ die Welt? Schreib’s auf meinen Deckel.“
Einzig Rashid kann seine Schulden aus dem Kopf hersagen. Die Summe ist beachtlich, obwohl er der einzige ist, bei dem winters noch ein Kohleofen glüht.
„Herrschaften, setzt euch auf den Hosenboden und rechnet das durch. Wir brauchen die konkrete Summe.“
„Ich dachte, dass es in erster Linie um die Bedeutung geht.“ Lisa hat ihre Abbildung von diesem Caravaggio gefunden. Köstlich: eine wilde Schlange, auf die Mama Madonna mit dem Fuß tritt. Dabei hält sie ihr nacktes Jesusknäblein fest und stellt sein Patschefüßchen auf Mamas Fuß. „Schaut euch das an. Ist es nicht herrlich italienisch?“
S. 48/49: Artemisia Gentileschi: Judith enthauptet Holofernes, um 1615 (nicht im Roman abgebildet)
„Wir knöpfen uns große Werke aus der Kunstgeschichte vor und persiflieren sie.“
„Du meinst sowas wie Michelangelos David mit Gipsarm?“ erkundige ich mich.
„Gemälde, Hausteipel, Skulpturen kriegen wir nicht gebacken. Wenn Lisa so für Caravaggio schwärmt, hätte ich da was für sie.“
Lisa sieht Männeken misstrauisch an. Der olle Caravaggio hat bei mir zwar noch nix machen lassen, aber wenn Lisa für den schwärmt, muss sie sich jetzt von Männeken nicht vereimern lassen.
„Ich war in den Achtzigern mal mit einer Feministin liiert.“ erzählt er.
Lisa quietscht sofort los.
„Duuuu? Glaub ich net. Das hättest du net überlebt.“
„Habe ich aber und falls du es wissen willst: sie auch. Obwohl sie mir von der einzigen Caravaggistin erzählt hat, die es damals gab. Schon mal von Artemisia Gentileschi gehört?“
„Hej, Männeken, stolz bin ich auf dich.“
Das ist jetzt Magdalena. Also muss an der Sache was dran sein. Unsere Lisa ist allerdings Ende der Achtziger gerade mal geboren worden. Sie kennt diese Unaussprechliche nicht.
„Artemisia Gentileschi ist der Hammer.“ erklärt Magdalena. „Sie hat eine Judith gemalt, die den Holofernes nicht nur von seinem Kopf befreit. Die schlachtet den regelrecht. Das hat man ihr von 1610 bis 1980 tierisch übel genommen.“
„Gentil esca haben sie sie sogar nach ihrem Tod noch genannt. Übersetzt heißt das süßer Köder. Passt doch zu dir, Lisa.“
Ich habe es gewusst! So weit käme das noch, dass ausgerechnet Männeken einen nett gemeinten Vorschlag für Lisa parat hat. Rashid sieht ihn bitterböse an und fasst sich an den Kopf.
S. 58: Jean-Antoine Watteau: Einschiffung nach Kythera, 1717 (Schwarz-Weiß-Abbildung im Roman)
„Was ist das denn für eine erbärmliche Schaluppe?“ wundert sich Lisa, als wir vor der Bank angekommen sind.
Soll ich jetzt beleidigt sein? Ist gegen die MERZ-Bank zu Coesfeld irgendwas einzuwenden? Die anderen gucken Lisa erstaunt an, übersetzen den Begriff Schaluppe für Rashid: Kahn, Boot. Es gibt nichts dergleichen in der Umgebung. Um langen Debatten auszuweichen, antwortet Rashid schnell und ungerührt.
„Jean-Antoine Watteau, Einschiffung nach Kythera, 1717, das Original befindet sich im Schloss Charlottenburg in Berlin.“
Auf der Vorzeichnung für sein Bild, die Lisa sich anguckt, hat er die fürnehme Personengruppe im Vordergrund nur zart angedeutet. Dafür ist das Segelschiff nicht nur näher gerückt, sondern zu einer verwrackten Schaluppe geworden, die bei Betreten augenblicklich unterzugehen droht.
Männeken herrscht Lisa ohne Rücksicht auf Verluste an.
„Madamchen, hier geht es gerade nicht um den Untergang der Titanic. Falls du es nicht mitgekriegt hast: wir sind jetzt bei der Tatortbesichtigung.“
Männeken muss für den scharfen Ton kein Pfand abgeben, weil Lisa sofort schuldbewusst aus dem Wagenfenster sieht.
S. 86: Piero della Francesca: Verkündigung, 1453-59/66 (nicht im Roman abgebildet)
Derweil ich dasaß und sie anhimmelte, fuhr es mir durch die Glieder, durch Verstand und Hirn: es war wie bei der Verkündigung Mariae, die in alten Zeiten nahezu jeder Künstler malte, der auf sich hielt. Wobei im aktuellen Falle ich die Madonna war, die zum Engel aufblickte.
Der Engel, also der Bote, kam nicht vom Himmel und Flügel hatte er schon gar nicht. Es war Magdalena selbst. Sie kam zu mir ins Kontor, nannte sich Veronika und warf literarische Nebelbomben. Seit ich mit ihr vor den Toren der Bank gestanden hatte, rauchte ich nur noch diese duftigen Vanille-Zigarillos und träumte von Grönland im Frühling. Wieso kam sie wirklich zu mir?
Auf einmal durchzuckte mich der Blitz der Erkenntnis: ich sollte ihr GUTER GEIST sein!
Harhar, ausgerechnet ich? Der passionierte Weintrinker, der aus Protest auf dem Gerichtsklo raucht und böse Buben verteidigt, deren kriminelle Energie bestimmt nicht der eines Robin Hood gleicht? Endlich verstand ich, warum Maria auf den Verkündigungsbildern immer so mürrisch und abwehrend dreinschaut. Man hat sie ebenso wenig wie mich gefragt, ob sie gebenedeit sein wolle unter den Weibern. Das ist jetzt nicht von mir, sondern von Brückners Christine (Wenn du geredet hättest, Desdemona). Aber so verdammt treffend, dass ich von den Haarspitzen bis in die kleinen Zehen hinein mürrisch erglühte.
S. 87: Barnett Newman: Who’s afraid of Red, Yellow and Blue III, 1967/68 (nicht im Roman abgebildet)
„Aber sie lassen Bilder da, die genau dem Wert der Beute entsprechen. Das ist doch ein Geschäft für die Bank.“
Aha, es wurde interessant für mich, den Freund der schönen Künste. Ich erkundigte mich sofort nach diesen Bildern. Magdalena wurde blass. Na klar, die durfte sie mir ebenso wenig verraten wie ihren Namen, die konkrete Summe der Beute oder die Anzahl der Täter. Mir wurde grausam klar, dass sie mich nach diesem Besuch nie wieder zu sehen gedachte. Ich musste meine Aufgabe als Guter Geist also doppelt und dreifach erfüllen.
„Michelangelos David mit Gipsarm.“ grinste sie. „Caravaggios Madonna, die ihrem Kinde beibringt, wie man eine Ente mit Dollarzeichen in den Augen platt tritt. Vielleicht noch Velazquez‘ Infantin in Lumpen wie ein Roma-Kind.“
Witzige Ideen, dachte ich bei mir. Doch wo bleibt das zwanzigste Jahrhundert?
„Darf’s auch etwas Modernes sein?“ erkundigte ich mich. „Deine Künstlerinnen sind doch nicht von vorgestern und dürfen dem Publikum ihrer Performance ruhig klar machen, dass auch in unseren Zeiten noch Werke geschaffen werden, die von Wert für die Zivilisation sind.“
Ich suchte auf meinem überbordenden Schreibtisch nach einem Katalog von Barnett Newman. Sie hatte erst drei Werke benannt. In meiner Eigenschaft als guter Geist war mir klar, dass sie noch keine Idee für ihr eigenes Bild hatte.
Frisch von der Leber weg wollte ich ihr unbedingt Barnett Newmans „Who’s afraid of Red, Yellow and Blue?“ nahe legen und zwar die Fassung des Stedelijk Museum Amsterdam: Stolze 2,75 m Höhe auf etwa 6 m Breite, links ein schmaler blauer Streifen, mittig eine unendliche Rotfläche, gefolgt von einem extrem dünnen Gelbstreifen. Auf dieses Werk war schließlich schon mal ein Kunstschänder losgegangen, vielleicht, weil ihn sechs Meter monochromes Rot so aggressiv machten, wie der Zustand der Werte unserer Gesellschaft uns heutzutage werden lassen kann. Sie sah mir erstaunt zu. Ich suchte und suchte, schämte mich auf einmal meiner Unordnung.
S. 89: Frank Radmacher: Der Kuss, Auflage in verschiedenen Größen, erste Fassung 1986 (Schwarzweiß-Abbildung im Roman)
Um sie abzulenken, drückte ich ihr meinen Briefbeschwerer, selbstredend ein Kunstwerk, in die Hand.
Der Kuss, ein handlicher Bronzeguss von Frank Radmacher. Freudsche Fehlleistung? Sie spielte beglückt damit, versenkte die beiden Teile ineinander, amüsierte sich so sehr über die Quadratur der Kugel, dass mir ganz schwindelig wurde und ich den Newman-Katalog erst recht nicht fand. Meine Wünsche als Mann taten hier nichts zur Sache. Ich war gerufen, Magdalenas Guter Geist zu sein.
„War nur so eine Idee.“ gab ich die Suche auf, sie jedoch den Kuss nicht wieder her. „Radmacher ist leider nicht so berühmt wie Newman. Den kannst du für deinen Roman nicht brauchen. Und was das Geschäft mit der Bank angeht: ein Tauschgeschäft bedarf juristisch der Einwilligung beider Geschäftspartner. Die Bank wird jedoch nicht einschlagen, wenn deine Protagonistinnen sie in aller Öffentlichkeit bloßstellen. Sie bleiben auf schwerem Raub, Waffenbesitz und vor allem auf der Geiselnahme sitzen. Wenn das bei einem Bankraub möglich wäre, würde ich davon dringend abraten.“
S. 95: Cornelius Kern: Wer hat Angst vor Schweinchenrosa, Currygelb und Himmelblöh?, für diesen Roman angefertigte Persiflage, 2016 (Farbabbildung im Buch)
hier ein kleiner Schwank aus dem gleichnamigen Kapitel, in dem von Hausteipels und Magdalenas Kneipentour durch Bochum erzählt wird, bei der die Idee zu dieser Persiflage entstand:
„Hast du Angst vor Rot, Gelb und Blau?“ fragt sie mich.
„Rot, rot, rot, rot sind die Rooosen,“ singe ich, bis mir einfällt, dass das rheinländisch ist und ich dem Rheinland frisch entsprungen bin. Blau hingegen könnten wir heute noch werden – aber Angst davor habe ich nicht.
„Wie wäre es mit Curry-Hähnchen?“
Magdalena strahlt mich an.
„Das ist die Idee! Curry-gelb. Oh, wie furchtbar!“
Ja, was denn nun?
An der indischen Pommesbude gibt’s auch prima Paprikahähnchen, aber sie will unbedingt die furchtbaren mit extra viel Curry. Jetzt knipst sie das Hähnchen auch noch mit ihrem Wischmopp. (…)
Magdalena gefällt die Wirtin wohl auch. Sie trinkt brav und bewundert den Glitzerschal, den die um ihren Hals hat. So eine Art Türkis mit Paletten. Manno, was wirkt das erste Gedeck schon bei ihr. Sie murmelt was von Currygelb und Himmelblöh, kichert und schüttelt sich dann. Mir wäre ja lieber, sie hörte mir zu. (…) „Ey, du sollst der Wirtin nicht ins Dekolletee glotzen, das gehört sich nicht. Anstoßen!“ (…)
Ich zwinkere einer alten Säuferin zu, die von oben bis unten Rosa anhat und auf der anderen Seite des Tresens sitzt. Sie reagiert prompt und gesellt sich zu uns. Die Wirtin kredenzt ihr einen Cocktail und schreibt ihn auf meinen Deckel. Magdalena scheint zu fürchten, dass der Abend gewaltig aus dem Ruder laufen könnte.
„Willy!“ spricht sie streng.
„Willy, watten schööna Naaame.“ lallt die Rosane.
Aber ich weiß, was angesagt ist, wenn Magdalena mich Willy nennt.
„Einen nehmen wir noch.“ grinse ich sie an. „Und dann ab durch die Mitte in unser schönes Dortmund.“
„Aus Dortmund, das auch noch.“ lacht die Wirtin und deutete auf allerhand blöd-blaue Schals an den Wänden, die noch nicht mal vom VfL sind. „Wie steht denn eure Arbeitslosenquote so?“
„Wie ’ne Eins.“ lacht Magdalena freundlich. Mit der stimmt doch was nicht. Immer wieder guckt sie auf das Foto von ihrem Curry-Gockel, dann zu der Wirtin, die sich langsam für ihren türkisen Glitzerschal geniert und zuletzt zu der alternden Säuferin in Schweinchenrosa.
„Who’s afraid of Curry, Glitter and Ladies in Pink?“ murmelt sie, was weder ich noch die Damen verstehen. Ob das ein Code ist? Gary Glitter, Lady in Pink? Scheint irgendwas mit den Bildern für die Bank zu tun zu haben. Au weia, Magdalena ist besoffen. Da besteht die Gefahr, dass sie sich verplappert.
S. 104: Artemisia Gentileschi: La Pittura, um 1630 (Farbabbildung im Buch)
Auf einen dieser Spiegel hatte Lisa das Foto des Originalgemäldes namens La Pittura gepappt.
Wütend riss sie sich die Kleider vom Leib, als sie es endlich geschafft hatte. Sie stand nackt und weinend vor dem Spiegel, als es sie packte:
So, genau so, sollte ihre Version auf La Pittura aussehen: wie eine fast nackte, dünne, frierende Frau mit rotfleckiger Haut, die Haare in wirrem Durcheinander an den Kopf geklatscht. Wo war die Leinwand, die sie schon grundiert hatte?
Sie spürte, wie nun wirklich Fieber in ihr keimte. Das Fieber der Kunstschaffenden. In diesem Zustand musste auch Caravaggio seine letzten Bilder gemalt haben. Eilig, den Tod und die Häscher der Malteser im Nacken. Genau wie der große Meister ritzte Lisa die Umrisse ihrer nackten Weiblichkeit direkt in die Grundierung. Wenn der sich mit Vorzeichnungen erst gar nicht abgegeben hatte, brauchte sie das auch nicht. Wo war der Trester, den Vater ihr letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt hatte? Eine große Teetasse davon würde sie wärmen, denn sie musste nun nackt bleiben.
Immer wieder sah sie in den Spiegel. Glich ihr Bild nicht dem Selbstportrait der Gentileschi? Diesem weiblichen Pendant zu Caravaggio, das der Welt gezeigt hatte, wozu ein Weib, über das alle spotteten, in der Lage war?
Changierender Stoff, so hatte sie in den Vorgaben des 17. Jahrhunderts für die Allegorie der Malerei gelesen, stand für das Können im Umgang mit Licht und Farbe. Aber so ein blauweiß-kariertes Zechenhandtuch war auch nicht zu verachten. Es gab ihrem Werk den zeitgenössischen Touch, einen Ruhrgebietsanstrich.
Verflixt, der Kettenanhänger in Form einer kleinen Maske war wichtig. Er symbolisierte die Vorstellungskraft, die Imaginatio der Künstlerin. Selbstverständlich hatte Lisa längst einen solchen besorgt, leider aber bei Magdalena liegen gelassen. Kaum öffnete sie ihre Tür einen Spalt breit, vernahm sie seltsame Gesänge über Leichenwagen. Verspottete man sie etwa?
Sie, die Künstlerin Lisa, war im Artemisia-Fieber und schuf ein Werk, das die Kunst so zeigen würde, wie sie dank der Krise, der Banken, der Geringschätzung durch die Menschen wahrhaftig war: zitternd, frierend, nackt.
Schon hatte sie an Stelle des Anhängers ihr Tattoo in die Umrisse der Brust geritzt. Sie hoffte, dass das Geräusch bis in Männekens Atelier vordrang. Wenn man mit dem Holzende eines dünnen Pinsels in Grundierung ritzte, klang es, als führe man mit den Schneidezähnen über eine Schiefertafel. Das hatten die drei verdient, so übel, wie sie Lisa mitspielten.
Sie griente sich selbst im Spiegel zu. Artemisia hätte ihren Maskenanhänger eigentlich nicht gebraucht. Sie hatte sich selbst aus Untersicht gemalt, also rein aus ihrer Vorstellungskraft. So konnte sich keine Frau im Spiegel betrachten. Also brauchte Lisas Bild auch ihr Tattoo nicht. Aus der Krise, in die die anderen sie gestürzt hatten, war ihre Chance geworden, ihre Imaginationskraft. Und die verdeutlichte ihr, wie das Inkarnat beschaffen sein musste, mit dem sie die nackte Malerei ins Bild setzte: das geritzte Tattoo verschwand unter Gänsehaut, Schrunden und Frostflecken.
S. 115: Cornelius Kern: Die Rivoluzza sint wir, für diesen Roman angefertigte Persiflage, 2016 (schwarzweiß-Abbildung im Buch)
„Das darf doch nicht wahr sein!“
Als der Herr Studienrat zu diesem Satz ansetzte, ahnte er nicht, dass er auf das Verstummen der Sirene treffen würde. Unter seinem Gebrüll fuhren alle zusammen. „Selbst meine Schüler mit Migrationshintergrund schreiben besseres Deutsch.“
Sein Entsetzen betraf Männekens Werk.
Auf eine Großfotografie, die Josef Beuys auf den Betrachter zuschreitend zeigte, waren Gegenstände aufgebracht: an Stelle des berühmten Beuys-Hutes trug Josef nun die Schlafmütze des deutschen Michels, statt der Stiefel echte karierte Filzpantoffeln. Zu allem Überfluss war in sehr kindlicher Schrift „die Rivolluzza sint wir“ dort zu lesen, wo Signatur und Titel hingehörten.
S.150: Robbert Ewers: Try walking in my shoes, um 1999 (nicht im Roman abgebildet)
Seit Männeken mitgekriegt hat, dass Hinz und Kunz bereit sind, für ein paar Jahre einzufahren, um die Zweihundertfünfzigtausend zu kassieren, ist er auf Zündung. Es fällt ihm schwer genug, sein Werk auf Seite Eins zu sehen und mit zu kriegen, dass es bei der Journaille sehr wohl schlaue Köpfe gibt, die das mit Beuys und den Revoluzzern verstanden haben. Aber dass er von diesem Ruhm noch nicht mal bekleckert wird, das raubt Männeken den Schlaf.
Eines schönen Morgens sehe ich, wie er seine Karre startklar macht und eins von seinen Werken verpackt. Das mit den Babyschuhen von seinem kleinen Neffen, die von richtigen Fäden gezogen mit dem Bild losmarschieren. Try walking in my shoes.
„Sage jetzt nicht, dass du das verkauft hast.“
Er guckt mich irritiert an.
„Kaum habt ihr eine Bank gemacht, läuft der Laden wieder.“ freue ich mich. „Erst Magdalena, jetzt du.“
„Schön wär’s.“ sagt er. „Wenn ich mal Preise wie Magdalena erzielen will, brauche ich dich als Agenten.“
„Hier bin ich. Wohin soll die Reise gehen?“
Er druckst ein bisschen, bis er damit rausrückt.
„Ist mit Uwe abgesprochen.“ lügt er, ohne rot zu werden.
„Was?“
„Na, dass ich versuche, rauszukriegen, ob die Bullen einen Verdacht haben, der in unsere Richtung geht. Da kann er ja wohl schlecht seinen Staatsanwalt nach fragen.“
S. 183: Die Schutzmantelmadonna aus La Bussana Vecchia, 2010 fotografiert (nicht im Roman abgebildet und gewiss auch keine 40 Jahre alt)
Oh doch! Magdalena hatte mich stets beflügelt. Und sie tat es wieder. Ich zog meinen Talismann aus der Brieftasche: eine Postkarte von La Bussana Vecchia, auf die ich mein Lieblingsfoto aus der italienischen Zeit geklebt hatte.
„Was ist das denn? Etwa eine Schutzmantelmadonna ohne Madonna?“
Sie war die Erste, die es sofort erkannte. Das musste einen Grund haben. Es handelte sich um einen Schutzmantel aus Gips, den wir so weiß und so leer, wie er war, in einen Hauseingang gestellt hatten. Waren es meine frommen fünf Minuten, in denen ich mir sagte, dass sie, Magdalena, die Madonna war, die in diesen Schutzmantel gehörte?
„Genau so haben wir es gemeint. Es waren die Zeiten der Lotta Continua. Wir wollten im hochkatholischen Italien ein antiklerikales Zeichen setzen: schützt euch selbst, statt nur zu beten.“
„La Bussana Vecchia? Wo ist das?“
„Ein Künstlerdorf in Ligurien, bei San Remo. Als wir den Schutzmantel fertig hatten, bin ich zurück nach Bochum gegangen, um Strafverteidiger zu werden. Ich schenke es dir, weil du es als Einzige sofort verstanden hast.“
„Das kann ich nicht annehmen. Es ist dein magischer Ort.“
„Es ist ein Foto davon. Du könntest mir ein Foto von Herrn Lehne schenken, aber niemals diesen Ort.“
Sie steckte es sorgsam in die unergründlichen Tiefen ihrer Handtasche.
S. 203: Robbert Ewers, A+O, offene Serie, seit 2004
„Ich habe es alleine nicht ausgehalten und war abends noch beim Hennes in der Kneipe. Der Sack! Als ich dem erzähle, dass sie das Atelierhaus in eine Juppibude umwandeln wollen und uns alle rausschmeißen, weißt du, was der da sagt?“
„Nee, woher soll ich es wissen?“
„Ich mache eine Cocktailbar auf, sagt der und zeigt auf Männekens viele A+O-Bilder neben seiner Klotür. Für die er sowieso immer viel zu wenig Bier gegeben hat. Jetzt auf einmal tut er aber so, als wäre er dem Picasso sein Kneipenwirt vom Mommater. Seine Kunstkneipe würde den Juppis gut gefallen. Dann könnte er sich sogar wieder Sky leisten für den BVB.“
„Lächerlich.“
„Lächerlich? Diese gottverdammte Arschgeige! Prolle-Rolle und Manülla freuen sich schon. Da faucht Mongo-Bongo sie alle stinkwütend an:
„Ihr seid ja doof. Als ob die Juppis mit euch BVB gucken. Wenn Männeken weggeht, haben wir alle verkimmelt.“
Spricht’s und haut ab.
S. 215: Jette Dorka: Wreck-Art, 2013 (Abbildung im Roman)
Eine Familie kam mit dem Schwarm der Wochenendtouristen (…). Der Vater besah kritisch Magdalenas neblige Vollmonde und Gewitter. Doch der Sohn des Hauses, in Bälde stolze elf Jahre alt, entdeckte die Fotografie des Holzstücks.
„Ein Löwe!“
Der Vater sah keinen Löwen.
„Doch, in Blau. Der sieht aus wie ein Wappenlöwe.“
Magdalena erfuhr, dass die Familie aus Braunschweig kam, wo Kinder noch etwas über Wappenlöwen lernten. Diesen hielt der Kleine für einen leopardisierenden Löwen. Er war ein wenig überklug für sein Alter – doch was, außer Lesen oder Quengeln, sollte er die ganzen Ferien lang im ligurischen Sommersitz der Familie tun?
„Ist das ein Löwe, den Sie da gemalt haben?“ wollte der Vater wissen.
Magdalena lachte.
„Es ist eine Fotografie. Strandgut.“
Der Vater erklärte seinem Filius, dass es nur Dreck sei und schwang sich auf zu einem großen Extemporé über das Thema Warum dürfen wir unseren Müll nicht am Strand liegen lassen?
Der Kleine sah Magdalena hilfesuchend an.
„Wenn du darin einen Löwen siehst, ist es ein Löwe. Das ist Magie.“
Sie lächelte, denn sie musste an Männekens IMAGE-MAGIE denken.
Der Vater goutierte dies mit der Frage nach dem Preis für die Magie. Er handelte, als sei er beim Bazar. Schließlich sei es nur ein Foto, nicht mal echte Malerei. Sein Sohn wurde schamesrot. Er konnte nicht verstehen, warum dieser Unterschied so wichtig war und fand seinen Vater peinlich.
„Aber das Bild hat sich selbst gemalt, Papa.“ warf er ein.
„Wenn du genau hinsiehst, kannst du fast überall in der Welt Bilder sehen, die sich selbst malen. Du musst sie nur wahrnehmen und aus dem Drumherum ausschneiden.“
Es gibt zwei weitere Bilder im Buch, die ich hier ohne Text einfüge. Man will ja nicht alles verraten: