Astrid Petermeier

Neues aus dem Rührgebiet

Eine Reise zu den Sternen der Nordstadt: 4. Stern DIE SONNE: BUNTE SCHULE NORD

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Unsere Sonne scheint natürlich am Nordmarkt, der unbestritten das Herz, das Zentrum der Galaxie Nordstadt ist. So, wie die Sonne im astrologischen Sinne den Boss, die Regisseurin des Lebensfilms darstellt. Sie sagt dem kleinen Helden, wie, auf welche Weise er sich in das Abenteuer Leben stürzt, wie er die Hindernisse überwinden und seine Aufgabe erfüllen kann. Als Regentin des Zeichens Löwe (der ja auch gern mal brüllt wie eine wildgewordene Regisseurin) liebt die Sonne ihre Freizeit, ist ein äußerst kreatives Wesen, eben wie ein Kind, das lustvoll loslegt.

Sonne in Klein

An dem Montag, an dem ich die Bunte Schule Nord besuche, ist es kühl und die Sonne versteckt sich hinter fiesen Regenwolken. Und doch strahlt sie bereits an der letzten Ampel vor meinem Ziel für mich auf: in Form eines leuchtend roten Kleides an einem Mädchen, die mit drei Geschwistern an der Hand ungeduldig wartet, bis Grün wird. Ich wette mit mir selbst und gewinne: diese 4 wetzen freudig los, um direkt vor mir in die Bunte Schule an der Mallinckrodtstraße 64 zu stürmen.
„Unser Grundimpuls war und ist, Waldorfpädagogik dorthin zu bringen, wo sie sonst nicht wäre.“
Wie kommt man denn auf die Idee, will ich als Erstes von Jutta Siener wissen, die sich Zeit für mich nimmt. Aktuell sind die Waldorfschulen diejenigen in Deutschland mit dem geringsten Ausländeranteil. Dies zu verändern, wollte man zunächst mit nur einer Klasse eine Schule in der Nordstadt eröffnen. Gute Idee, denn unser Ausländeranteil ist schwer zu toppen. Doch wie die deutsche Bürokratie so spielt, verlangte sie dem Vorhaben gleich ein Gebäude für eine ausgewachsene Schule mit allem Zipp und Zapp ab – und Essig war’s. Also eröffnete man 2011 im jetzigen Ladenlokal eine Nachmittags-Bunte-Schule mit Interkulturellem Familienhaus. Dort gibt es Hausaufgabenbetreuung, Spiel- und Bewegungsangebote, Malen, Musizieren und tolle Ausflüge ins Mondo-Mio-Kindermuseum und zu großen Spielplätzen. Jeder Tag ist anders, weil die Mitarbeiter-innen nie wissen, wer kommt und sich um jedes Kind einzeln bemühen.
Zu Anfang waren dies Kinder aus türkischen und arabischen Familien. Als 2013 die große Wanderungsbewegung aus Rumänien und Bulgarien einsetzte, hatten auch diese Kinder die Bunte Schule schnell entdeckt. Prompt blieben nach einem Weilchen die türkischen und arabischen Kinder weg, nicht aus freien Stücken: dies war Elternentscheidung. Tja, Vorurteile haben wir Deutschen nicht für uns gepachtet. Ich muss an Degenhardts altes „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, sing nicht ihre Lieder“ denken, als ich erfahre, dass deutsche Kinder die Bunte Schule komplett schwänzen.

Die Kinder, die ich erlebe, sind mit Feuereifer dabei. Mit unglaublicher Konzentration zerschneidet eine Kleine Transparentstreifen in Schnipsel. Sie sollen später auf Gläser geklebt werden, in die man Kerzen setzen kann. Doch das weiß sie noch nicht. Sie ist glücklich mit dem, was sie gerade tut und ganz bei der Sache. Dass die anderen an ihrem Tisch Hausaufgaben vorzeigen, nach einem Mandala zum Ausmalen verlangen, dass Jutta Siener mir viel erzählt, stört dieses Mädchen in keiner Weise. Ich erfahre, dass der bei uns allgegenwärtige Fernseher, Computer und andere Medien im Leben dieser zugewanderten Familien keine Rolle spielen. Da kann ich dem hochkonzentrierten Kind nur wünschen, dass sich das so bald nicht ändert.
Es gibt noch weitere Räume, die ich jedoch erst später sehen kann. Denn an diesem Tag findet darin zum ersten Mal der Gitarrenunterricht statt. Ein Mann aus Syrien, der vor seiner Flucht Gitarrenlehrer in Aleppo war, gibt den Kindern Einzelunterricht. Als ich bemerke, wie aufgeregt der kleine Junge, der als Nächster dran ist, schon wartet, muss ich mit meiner Rührung kämpfen.

Also ab auf das Feld der Probleme: für die Kinder ist die Bunte Schule umsonst. Wer kommt für die Kosten auf? Die Stadt Dortmund nicht, die Säckel sind leer. Jutta Siener arbeitet hier drei Tage pro Woche gegen Fahrgeld. Dank einer Stiftungsspende können sich neuerdings zwei weitere Mitarbeiter ein kleines Salär teilen. Man ist auf Spenden angewiesen!
Ha, im Ernst? Du, die das gerade liest, bist schon so begeistert, dass du etwas geben möchtest? Dann folgst du (und auch die, die erst noch weiterlesen möchten) dem link = LESEZEICHEN meiner Seite und findest mühelos zur homepage der Bunten Schule.
Keine öffentlichen Gelder zu kriegen, hat seine Vor- und Nachteile. Man muss keine minutiösen Pläne für Papier-, Pigment-, Materialeinkäufe vorlegen und lange begründen. Man ist freier im Umgang mit dem, was man (nicht) hat. Obwohl viele schöne Ideen dem Zu-teuer-Streichkonzert zum Opfer fallen. Von wegen Streichkonzert: gibt’s auch, seitens der Dortmunder Philharmoniker als großzügige Spende.

BunteSchule
Dieses und weitere Fotos aus der Bunten Schule findet ihr auf besagter homepage: es lohnt!

Durch einen kleinen, herrlich stillen Hinterhofgarten – die Musik beginnt ja immer in der Stille – schleichen wir auf Zehenspitzen durch den Raum, in dem noch der Gitarrenunterricht stattfindet. Es ist nicht leicht, dem Instrument erste Töne zu entlocken, wobei ich keinesfalls stören will. Der Raum ist groß genug, um darin einen langen Vor- und sogar einen Doppel-Nachnamen zu tanzen. Denn das ist so ungefähr alles, was ich über Waldorfpädagogik weiß: es gibt sowas wie Eurythmie und man kann hinterher seinen Namen tanzen.

In der Malstube lerne ich jede Menge dazu: die Kinder erhalten hier die drei Grundfarben Rot, Gelb und Blau, die sie zu allen anderen mischen können. Noch wird auf Tischunterlagen gemalt, doch die Holzbretter, in die Wasserbecher für Aquarelle gestellt werden, stehen schon bereit. Wenn sie angebracht sind, können die Kinder wie große Künstler an der Wand malen.
Moment mal, Aquarelltechnik? Ausgesprochen schwer, so nass in nass zu malen. Verschwimmt da nicht leicht alles in einem braunen See? Was ich zu sehen bekomme, widerspricht meinen Vorstellungen von den Schwierigkeiten, die Wasser und Pigmente in Kinderhand bereiten können.

KindBild

Es sind kleine Kunstwerke, die mich in Erstaunen versetzen. Gefolgt von Stolz: Das sind Werke unserer Nordstadt-Kinder! „Bildungsfern und unverdrossen“, grinse ich in mich hinein und versuche mir auszumalen, ob sich so wohl die Besucher der Ausstellung DREI FARBEN BUNT, die im März 2015 im Museum am U-Turm stattfand, die kleinen Künstler vorgestellt haben.

Ich nehme mir vor, an diese Bilder zu denken, wenn die Kurzen sich bei meinem nächsten Weg am Spielplatz vorbei wieder kreischend in den Haaren liegen. Apropos Spielplatz: bei annehmbarem Wetter findet die Bunte Schule dienstags und freitags auf dem Spielplatz Düppel-/Missundestraße statt. Mit Angeboten zu Volkstänzen, Stelzenlaufen, Fußball- und Gruppenspielen. Wobei die Padädoginn-en allerhand Probleme zu lösen haben. Es geht darum, das Miteinander zu entwickeln – doch gestritten wird (nicht nur unter Kindern) immer mal. Wer aufgeregt ist, verfällt in die Muttersprache und sie müssen erstmal dahinterkommen, worum es geht. Probleme als Aufgabe zu betrachten, gefällt mir gut an der Waldorfschen Sicht.

Jedes Kinderwesen bringt eine Aufgabe mit in sein Leben, erläutert mir Jutta Siener ihre Betrachtungsweise. Sie kann aus einer vorherigen Inkarnation stammen, wenn man glaubt, dass wir nicht unser erstes und einziges Leben leben. Die Entdeckung dieser Aufgabe bedarf jeder Menge Kreativität und die Möglichkeit hierzu kann sie in der Bunten Schule bieten.
Womit ich wieder auf die astrologischen Deutungen der Sonne gestoßen werde: Wie, auf welche Weise gelingt es der Regisseurin, ihr Team zur Gestaltung eines interessanten, sinnvollen Films zu bringen? Wohl kaum, indem sie immer nur ihr Ego raushängen lässt. Viel besser stehen die Chancen, wenn sie den widersprüchlichen Team-Mitgliedern, also den Wilden, den Leuchtenden, den Lauten, den Dunklen und den Stillen, Schüchternen (Seiten in jedem von uns), zeigt, wie man auf spielerische Weise an einem Strang ziehen kann. Das Drehbuch ist schon da, aber ob wir es verhunzen oder zum Strahlen bringen, liegt an uns und Frau Sonne.

Na, solange es Kinder gibt, die sooo gern Schnipsel schneiden, Bilder malen, deutsche Worte lernen und stolz auf ihre ersten Klänge aus der Gitarre sind, muss auch der Musiklehrer aus Aleppo nicht verzweifeln. Kokolores, er wäre ebensowenig wie die anderen Mitarbeiter-innen in der Bunten Schule Nord, wenn er nicht Hoffnung auf sonnige Herzen hätte.

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