Astrid Petermeier

Neues aus dem Rührgebiet

USCHIS STILLE OASE

Die richtige Frisöse zu finden, das ist ja in etwa so schwer wie den Arzt des Vertrauens. Meinen Sohn hab ich deshalb Arzt werden lassen und bei meine Frisöse bin ich schon über zwanzig Jahre. Wenn die nach Australien auswändern tät’, ginge ich auf meine alten Tage noch hinterher. Zum Glück ist sie in den Salon bei mir umme Ecke geblieben, als der alte Hebeleit den an Meister Robert übergeben hat.

Als ich da erstemal hingeh, marschiere ich wie auf Schienen hinter den großen Doppelspiegel. Da ist Uschis Refugium. Während sie einem ihre selbstgerührte Pampe im Gesicht verstreicht, studiert sie die Kopfform und die Struktur vonne Haare. Davon weiß die hinterher wie keine Zweite, welche Frisur geht und womit man unmöglich aussäh.

„Hach, Robäärta, jetzt brauch’ste bloß noch so’ne dusselige Uschi, die den Ömmakes die Wellenreiter aufsetzt. Dann haste für jedes Geschlecht den Spezialisten.“

Was ist das denn für’n Kalauerkönig? Ich hab mich wohl verhört! Gezz aber!, funke ich Uschis Spiegelbild an. Das alte Mädel sagt nichts. Brav macht sie mit meiner Dauerwelle weiter. Also, an der ihre Stelle, da wär’ ich jetzt hinter dem Spiegel vorgeschossen wie ein wildgewordener Handfeger und hätte dem gezeigt, was’ne Uschi ist. Wir müssen uns hier doch nicht verstecken!
Sowas in der Art muss sich ihr Kollege auch gedacht haben.
„Uuuschi?“ röhrt er. „Asse du Zeit por favor?“
Ich nick ihr zu. Sie soll mal ruhig nach vorne gehen und diesen Kalauerkönig auf Knien rumrutschen lassen. Unter ne Schachtel Pralinen tät’ ich dem seine Entschuldigung gar nicht annehmen.

„Ach, Oma Pirschke,“ sagt sie leise zu mir. „Wenn du wüsstest, wie die Zeiten sich verändert haben. Ich kann doch froh sein, dass Robert mich übernommen hat. Schon mal von Hartz IV gehört?“
So’n Käse! Bin ich vielleicht von gestern? Da war ich noch in Sachen Gemüse und Geflügel auffen Markt und da musste man sich auch immer neue und bessere Plätze erobern. Mit meine gut durchtrainierte Stimme übertöne ich die paar Föns aber locker.
„Dat Uschi macht mir grad ne Eis-wasser-massage.“
Sollen sie doch alle neidisch werden da vorne. Soll der Roberta doch wissen, dass meine Uschi jede Menge mehr drauf hat als langweilige Dauerwellen.
Als ich fertig bin, guck ich mir die Bagage erstmal ganz genau an. Der sich da gerade das Kribbelwasser wegschlürft, das muss der kalauernde Ganeff sein.

„Mach mir doch auch so’n Priesetscho oder wie dat heißt.“
Schon pflanz‘ ich mich neben ihn.
Robert, der Chef, ist mit den Haaren vonne Schwuletten zugange.
„Manolo!“ ruft er zu einem Dunkelgelockten. „Einmal Priesetscho-oder-wie-dat-heißt für die Dame.“
Ich sehe ganz genau, wie der Kalauerkönig sich das aufschreibt.
„Manolo ist ne Heschna.“ versucht er, mich abzulenken.
„Aha?“
„Hetero-Schnalle.“ zischelt er, womit die Feindschaften klar umrissen wären. „Zuständig für die Stinktierstreifen.“
Robert sieht seinen Freund scharf an. Die feinen Damen, gegen deren mittig-grauen Streifen Manolo mit Farbauffrischung ankämpft, will er hier nicht vergraulen lassen. Fragt sich bloß, wofür der meine Uschi noch braucht. Von den alten Kundinnen bin ich sozusagen als Letzte übergeblieben.
„Sowas ist bei mir ja rausgewachsen.“ wie eine Diva fahre ich mir durch die neuen weißen Löckskes. „Aber gegen deinen Damenbart, da sollteste die Uschi mal was tun lassen.“
Komisch, die Lache von dem Manolo, die kommt mir irgendwie bekannt vor. Schadenfreude in Reinkultur. Dem hat ja schon nicht gepasst, dass er mir den Schampus bringen sollte – nicht mal angeguckt hat der ein altes Weib wie mich.

Vier Wochen später trägt Robert so einen neumodischen Strich-am-Kinn-Bart. Sag’ ich doch, dass die Uschi auch Männersachen kann, egal von welches Ufer die sind. Bloß der Kalauerkönig, der sitzt immer noch mit seinem Schrubber unter der Nase da.
„Ach Uschi, mach mir doch so eine Maske in Blau.“
Ich fleeze mich genüsslich ganz vorne auf einen von den Damenstühlen und klopfe auf den Platz neben mir. Zeit hab’ ich sowieso mehr als genug und der Uschi muss ich mal unter die Arme greifen. Während meine Gesichtsmaske einzieht, kann sie in ganz in Ruhe rauskriegen, was für’n Barttyp der Kalauerkönig wohl ist.
Aber was heißt hier schon in Ruhe?
Manolos Kundinnen schnattern, als würden sie dafür bezahlt. Meine Fresse, das geht rasant vom Burnout des Gatten über die Kleptomanie der Freundin bis zur Tochter, die nicht mehr nach Taschengeld sondern der Platinkarte fragt. Musse dich dran gewöhnen, Uschi. Beizeiten fällt dir da schon was zu ein.
Manolo rät zu Libbenderr Gütte.
„Das ist Buddhismus.“ erfahre ich vom Kalauerkönig. „Im Moment ganz groß in Mode. Nur leider nicht so witzig wie Sie, Oma Pirschke.“
„Ein Dandybärtchen“, schlägt Uschi vor, „ich glaube, das wäre das Richtige.“

Manolo hat ein paar Minuten gebraucht, bis er die Attacke vom Kalauerkönig verstanden hat und parieren kann.
„Glaubt sie!“ pestet er. „Pass bloß auf, dass diese Uschi keine Witzfigur aus dir macht.“
Ich hab’s! Jetzt weiß ich, wer Manolo ist! Immer auf die Kleinen, so war der schon als Kind, dieser selbsternannte Südländer. Wegstecken konnte der noch nie was, schon gar nicht die interessierten Blicke seiner Damen auf meine Maske. Na warte, du kleiner Freggel, wenn du auf die Uschi losgehst, kriegst du’s mit mir zu tun.
„Der Manni Bigalske!“
Wie gesagt, meine Röhre ist ja marktgeschult. Manolo tut so, als suche er hinter sich einen Manni Bigalske. Der Kalauerkönig zuckt vor Begeisterung und schreit dann „autsch“. Aber Manolo wär’ ja nicht Manni Bigalske, wenn er nicht sofort wieder obenauf wäre.
„Üüschi! Vorsicht mit die Messerrr, por favor.“
Ratzfatz hat der seinen Fehler bemerkt und sich an den Akzent erinnert. Ich könnte mich beömmeln, aber die Uschi, die muss gleich Entschuldigungen flüstern. Das wär ihr alles zuviel auf einmal.
„Mensch Manni,“ leg ich nach. „das hätt’ ich mir denken sollen, dass aus dir mal’n flotten Frisör wirst. Alze noch so’n blonden Pimpf warst, da warste beim Äppelklauen so fix wie heute mit dein südländisches Mundwerk.“
Damit soll’s für heute mal gut sein und der Kalauerkönig reicht mir Priesetscho. Der steht jetzt schon so auffe Karte, sogar mit oder-wie-dat-heißt hintendran. Bin ich ja ganz stolz drauf.

„Willst du deine Ruhe haben, musst du denen was auf die Ohren geben.“
Die Uschi versteht meine Ratschläge aber auch immer falsch. Wieder vier Wochen später dudelt sie uns Musik vor. Von Smetana, die Sache mit dem Fluss. Roberta ist selig, weil die Kampfhähne sich mal nicht beharken und Manolo gibt hingebungsvoll den Mittelstreifenbeauftragten. Es ist still bis auf die Wellen, die uns musikalisch umrieseln. Bloß meine Uschi ist im Stress, weil gleich drei Damen ihre Masken wollen.
„Was hast du uns da Schönes ausgesucht, Üscheken?“
„Die Mosel, Oma Pirschke.“
Fataler Fehler!
„Und bei Traben-Trarbach schubbt dat Uschi dann den Manni Bigalske vonne Karlsbrücke.“ kichert der Kalauerkönig.
„MOLDAU, Uschi, das ist die Moldau!“ vergiftet der den Fluss. „Hat Oma dir das nicht beigebracht? Die weiß doch sonst immer alles.“
Ich sehe, wie Uschis Spiegelbild erst erbleicht und dann puterrot wird. Moldau oder Mosel, das wär mir doch hoch wie tief.

„Wenn du dich jetzt nicht wehrst, dann kann ich dir auch nicht mehr helfen, mein Mädchen.“
„Du hast ihr mehr als genug geholfen.“ sagt Robert. „Lass sie doch mal selber machen.“
Hör’ ich richtig? Wieso geht der jetzt auf mich los? Ich will mich gerade aufregen, da legt der mir den Finger an den Mund. Was dann kommt, ist für uns’ Uschi eine richtig lange Rede.

„Wenn ihr allesamt mal selbst den Burnout kriegtet, statt immer nur über die anderen herzuziehen, dann gäbe ich die Liebende Güte in Person.“
Spricht’s und marschiert zu ihrem alten Doppelspiegel.

USCHIS STILLE OASE schreibt sie mit Lippenstift außen drauf und setzt noch
„Rasuren, Masken, Massagen“ drunter.

„Weil ich nicht in diesen Salon passe, pass’ ich den Salon eben an mich an. Und wem das immer noch nicht passt, dem setz’ ich Oma Pirschkes Wellenreiter auf die Schnüss.“

Ja, so kam das, dass meine Uschi ihren eigenen Bereich kriegte. Hinter ihrem Doppelspiegel hat die sich schon immer sauwohl gefühlt. Wenn sie bei ihren Masken die Gesichter der Damen studiert, kann sie dem Manni hinterher sagen, was für einen Schnitt die brauchen. Und ich, ich bin jetzt vorne im Salon und mach’ zusammen mit dem Kalauerkönig die Kasse und die Reklame für sie. Weil sogar die Schwuletten mit ihre Bärte nicht so mutig und kreativ sind, wie das schöne Schild, was sie für Uschis Stille Oase gemalt haben.

Astrid Petermeier, April 2014

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